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An Johann Gottfried und Caroline Herder

d. 2. [- 9.] Dez. 86. Rom.

Bald hoff ich nun durch Briefe von Euch erfreut zu werden; Nachricht, daß es meinen Freunden wohlgehe, ist das einzige was mir hir fehlt. Die Witterung hat bisher meist von sechs zu sechs Tagen abgewechselt, zwey ganz herrliche, ein trüber, zwey bis drey Regentage, ein halb aufgeklärter, dann wieder schöne. Ich suche jeden auf's beste zu nutzen.

Doch immer sind mir noch diese herrlichen Gegenstände, wie neue Bekanntschafften, man hat mit ihnen nicht gelebt, sie nicht genug verglichen. Einige reißen einen mit Gewalt an sich, daß man eine Zeitlang gleichgültig, ja ungerecht gegen andre wird. So hat Z. E. die Facade des Pantheons, der Apoll von Belvedere, einige Colossalköpfe und neuerdings die Capelle Sixtine so mein Gemüth eingenommen, daß ich darneben fast nichts mehr sehe. Ihr kennt mich, und könnt leicht dencken, daß ich ein Jahr und länger [75] brauchte um so wenige, aber so grose Gegenstände in meinem Gemüth zurecht zu stellen. Nun kommt aber noch eine ungeheure Menge trefflicher Wercke die sich von allen Seiten zudrängt, auf jedem Schritt dir begegnet und auch für sich den Tribut der Aufmercksamkeit fordert. Ich will nur sehen wie ich mich heraus ziehe.

Zufällig hab ich hier Archenholzens Italien gefunden. Wie so ein Geschreibe am Ort zusammenschrumpft, ist nicht zu sagen. Eben als wenn man das Büchlein auf Kohlen legte, daß es nach und nach Braun und schwarz würde, die Blätter sich krümmten und im Rauch aufgingen. Er hat die Sachen gesehen, aber zu der grosthuischen, verachtenden Manier, besitzt er viel zu wenig Kenntniße und stolpert Lobend und tadelnd.

Ich will so lang ich hier bin die Augen aufthun, bescheiden sehen und erwarten was sich mir in der Seele bildet.

Winckelmanns Geschichte der Kunst, die neue Italiänische Ausgabe ist sehr brauchbar, ich bringe sie mit.

Alle Morgen eh ich aufstehe wird an der Iphigenie geschrieben, täglich erobre ich eine Stelle und das Ganze macht sich. Ich bin ganz nah fertig zu seyn.

Doch denck ich drauf, wenn die beyden ersten Bände gedruckt wären könnte man den vierten zu erst drucken. Mache das wie es schicklich ist. Ich säume nicht, die Iphigenie soll auch kommen.

[76] Nur in der Stella (ist mir eingefallen) hab ich eine Stelle verändert und eine andre, die sich darauf bezieht, vielleicht nicht, auf einem beyliegenden Blatt sag ich mehr davon, und setze auf allen Fall eine Correcktur hinzu, die du einschieben wirst, wenns nötig ist.

Sehr wunderbar drängt sich in dieses Jahr soviel zusammen. Heilsam und gesegnet, daß auf eine lange Stockung wieder eine Lebensregung sich rührt. Ich finde mich viel, viel anders und besser.

Nun fangen an mich römische Alterthümer zu freuen, Geschichte, Innschriften, Münzen pp von denen ich sonst gar nichts wissen mochte, alles wird mir lebendig und drängt auf mich zu. Wie mir's in der Naturgeschichte erging, geht mir's hier.

An diesen Ort knüpft sich die ganze Geschichte der Welt an, und ich zähle einen zweyten Geburtstag, eine wahre Wiedergeburt von dem Tage da ich Rom betrat.

In denen fünf Wochen die ich hier bin hab ich schon manchen Fremden kommen und gehn sehn. Gott sey Danck daß mir künftig keiner von diesen Zugvögeln mehr imponirt, wenn er von Rom spricht, keiner mehr die Eingeweide erregt; denn ich habs nun auch gesehn und weiß woran ich bin. Mein decidirtes Incognito spart mir viel Zeit, ich gehe absolut zu niemanden ausser zu Künstlern. Den Bruder der Gräfin Harrach einen Prinz Lichtenstein hab ich allein ausgenommen, der mir denn auch mit viel Gefälligkeit verschafft hat [77] Dinge zu sehn die man gewöhnlich nicht sieht. Durch seine Negociation hoffe ich auch in ein Nonnenkloster zu kommen, wo Reste eines Mars Tempel stecken müssen die mich sehr interessiren. – Die Tochter des Prätendenten hat das fremde Murmelthier auch schon zu sehn verlangt ich habs aber abgelehnt. Lebt wohl Grüßt Gusteln an den ich oft dencke und ihn zu mir wünsche wenns lustig zu geht, als neulich am Meer da gefischt wurde.

Lebt wohl. Schreibt mir ja wieder und grüßt die Kinder.

Dieser Brief geht ab d. 9. Dec. Eben erhalt ich den Eurigen. Tausend Danck. Ehstens mehr.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1786 [2]. An Johann Gottfried und Caroline Herder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-751F-B