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An Thomas Johann Seebeck

[Concept.]

So eben komme ich von Jena, wo ich meine jährliche Revision der Museen gehalten habe, und es wäre sehr unrecht, wenn ich Ihnen, mein vortrefflicher Freund, nicht davon einige Nachricht ertheilen wollte, da wir Ihnen bey diesen Anstalten so viel schuldig geworden.

Beynah alles, was wir zu Anfang des Jahres verabredeten, ist glücklich ausgeführt. Die Körnersche Luftpumpe sehr wohl gerathen, die Pariser Glaswaren sind glücklich angekommen und Döbereiner hat seinen Platina-Tiegel schon wacker gebraucht.

[178] Überhaupt ist dieser Ehrenmann, den wir Ihnen auch verdanken, gar wohl dessen werth was für ihn und um seinetwillen geschieht. Er ist klar, thätig, tüchtig und bleibt bey den großen Fortschritten der Wissenschaften gewiß nicht zurück.

Empfangen Sie daher nochmals meinen herzlichen Dank für Ihre schöne und fruchtreiche Einwirkung.

In dem Schweiggerschen Journal hab ich einen Aufsatz von Pfaff erblickt, der auch gegen meine Farbenlehre gerichtet ist. Notiren Sie ihn doch zu den übrigen: denn ich fühle jetzt nicht die mindeste Lust, die Sache wieder vorzunehmen; ich habe sie herzlich satt und die Herrn noch mehr; erst lernen sie von einem, werden auf Dinge aufmerksam, an der sie ihr Lebtag nicht gedacht hätten, und dann es noch Wasser auf ihre Mühle seyn. Ich weiß recht gut, welcher Bach meine Räder treibt, und den sollen sie mir nicht abgraben.

Die Bilder welche der Doppelspath hervorbringt und die Färbung ihrer Säume habe ich recht gut gesehn und mich viel mit ihnen beschäftigt. Sie sagen aber nichts mehr und nichts weniger als die übrigen auch, und ich habe ihrer, so wie manches andern nicht erwähnt, weil es mir um die Elemente, um die Anfangsgründe zu thun war, welche diese verschrobenen Köpfe ja nicht einmal lassen können. Sie möchten einen gern in die Schule schicken, in die sie gehen sollten. Ich habe dieses Gelichter in meiner Geschichte [179] der Farbenlehre schon so genau geschildert, daß mir über sie zu denken oder gegen sie zu thun nichts übrig bleibt.

Aber über einen andern Mann habe ich mich neulich betrübt, und ich wünschte, Sie geben mir einigen Aufschluß. Zufälliger Weise kommt mir eine Stelle aus der Vorrede dem Hegels Logik in die Hände. Sie lautet wie folgt:

»Die Knospe verschwindet in dem Hervorbrechen der Blüthe, und man könnte sagen, daß jene von dieser widerlegt wird; eben so wird durch die Frucht die Blüthe für ein falsches Daseyn der Pflanze erklärt, und als ihre Wahrheit tritt jene an die Stelle von dieser. Diese Formen erdrängen sich als unverträglich mit einander, aber ihre flüssige Natur macht sie zugleich zu Momenten der organischen Einheit, worin sie sich nicht nur nicht widerstreiten sondern eines so nothwendig als das andre ist, und diese gleiche Nothwendigkeit macht erst das Leben des Ganzen aus.«

Es ist wohl nicht möglich, etwas Monstroseres zu sagen. Die ewige Realität der Natur durch einen schlechten sophistischen Spaß vernichten zu wollen, scheint mir eines vernünftigen Mannes ganz unwürdig.

Wenn der irdisch gesinnte Empiriker gegen Ideen blind ist, so wird man ihn bedauern und nach seiner Art gewähren lassen, ja von seinen Bemühungen manchen Nutzen ziehen. Wenn aber ein vorzüglicher[180] Denker, der eine Idee penetrirt und recht wohl weiß, was sie an und für sich werth ist, und welchen höheren Werth sie erhält, wenn sie ein ungeheures Naturverfahren ausspricht, wenn der sich einen Spaß daraus macht, sie sophistisch zu verfratzen und sie durch künstlich sich einander selbst aufhebende Worte und Wendungen zu verneinen und zu vernichten, so weiß man nicht, was man sagen soll. Herr Troxler hat einen Theil dieser saubern Stelle als Motto gebraucht, da sie denn, genau bestehen, nichts weiter heißen soll, als daß die Herrn, wie Melchisedek, ohne Vater und Mutter geboren und ihren Vorfahren nichts schuldig seyen.

Ich bin von solchen Arbeitern im Weinberge alles gewärtig und gewohnt. Wenn ich aber auch Hegeln verlieren sollte, dieß würde mir leid thun. Denn was soll man von einer Logik hoffen, in deren Vorrede mit dürren Worte stünde: aus falschen Prämissen käme erst die rechte wahre Conclusion. Ich kann des Buches selbst nicht habhaft werden. Vielleicht nimmt sich die Stelle im Context besser aus. Trösten Sie mich deshalb, mein Lieber, wenn es möglich ist.

Grüßen Sie Herrn Schweigger vielmals. Bitten Sie ihn ja, daß er gegen die Sache redlich gesinnt bleibe. Der Journalist ist in doppelter Gefahr. Döbereiner wird ihm einen kleinen Aufsatz schicken, den wir in Jena zusammengestellt haben; eine merkwürdige [181] Ver-und Entgiftungsgeschichte aus dem Alterthum, die den Chemiker, den Arzt und den Juristen interessiren kann. Wenn ich länger in Jena verweilte, so könnte es noch manche dergleichen Mittheilungen geben.

da ich die mitlebenden Naturforscher etwas näher möchte kennen lernen, so haben wir eine kleine Notizen-Sammlung angefangen und zwar folgendermaßen. 1) Vor- und Zunahme. 2) Geburtsjahr. 3) Geburts- Ort. 4) Erste Studien. 5) Fernere Studien. 6) Lehre zu welcher derselbe geneigt. 7) Schriften. 8) Schicksale. 9) Gegenwärtige Aufenthalt und Beruf. 10) Äußere Gestalt. 11) Sittlicher Charakter.

Wollten sie mit Beyhülfe des Herrn Schweiggers nur die Männer, die auf dem Titel des Journals für Physik genannt sind, bekannt machen, so thäten Sie mir einen großen Gefallen. Man könnte es ja ganz kurz und tabellarisch behandeln.

Schreiben Sie mir doch etwas von den Arbeitern, bey deren wir die Magnetstäbe bestellen wollten. Ich schicke dann meinen großen, aus mehreren Stäben bestehenden Magneten Ihnen zu, daß er wieder hergestellt werde. Bey dessen Rücksendung könnten die Stäbe mit kommen.

So eben sehe ich noch einmal in das chemische Journal und finde den ungeheueren Unsinn von einem doppelten Grau, aus dem nun das weiße Licht bestehn soll, damit nur ja das Schwarz bey den Erscheinungen [182] keine Mitwirkung habe. Man meynt immer, die Narrheit der Parteiwuth müsse doch einmal eine Gruppe finden; aber es gelingt ihr noch immer, sich selbst in's Unendliche zu überbieten. Und dann fällt mir die Hegelsche Stelle wieder ein und ich verstimme.

Mit den aufrichtigsten Wünschen für Ihr Wohl und das Wohl der Ihrigen.

Weimar den 28. Nov. 1812.


Nachschrift.

Mit beyliegendem Briefe könnte mir's gehn, wie schon mit mehreren, die ich lebhaft dictirte, weil ich meine Freunde gegenwärtig zu haben glaubte, sodann aber, wegen einiges Bedenkens, zurückhielt. So veralteten sie und wanderten zuletzt mit andern unbrauchbaren Blättern in's Feuer. Mündlich geht manches, auch das Heftigere vorüber, das auf dem Papier nicht gebilligt werden kann. Indessen da sich in Deutschland kein Mensch um meinetwillen öffentlich genirt, so sehe ich gerade nicht ein, warum ich mich in der stillen Unterhaltung mit meinen Freunden so sehr geniren sollte. Ich implorire daher das nobile officium amici und ersuche sie diesen Brief freundlich aufzunehmen, mit Bedacht und gutem Willen zu lesen, ihn für sich zu behalten, und allenfalls zu verbrennen. Und da nun dieser Schritt überwunden ist, so thue ich gleich noch einen zweyten und sende Ihnen einige[183] andre Dinge, damit es doch zwischen uns werde wie vormals, da man in glücklicher Nähe sich alles comuniciren konnte und wenn es auch nur ein Tagscherz gewesen wäre.

Entschuldigen und lieben Sie den Ihrigen.

Den 29. Nov. 1812.

Goethe.


[Beilage.]

Groß ist die Diana der Epheser.

Als das Troxler'sche Werk über das Wesen des Menschen allzu sehr gelobt wurde.

Sie haben mich veranlaßt, das Werk selbst zu lesen. Es verdient allerdings beachtet, aber freylich nicht präconisirt zu werden; wenn man den Verfasser auch noch so sehr schätzt, so kann man doch nicht Partei für ihn nehmen. Das Werk ist auf alle Weise problematisch und wird die Köpfe eher verwirren als zurechtsetzen. Es hat sehr schöne, lobenswürdige, lichtvolle, brillante Partien, aber auch so viel Hiatus, Unzulänglichkeiten und Falschheiten, die sich mit Bombast umwölken und dieser Lichtwelt eine Nachtseite verschaffen. Es ist jammerschade, daß die herrlichen Bemühungen unserer Zeit auf solcher Weise wieder retardirt und die Blüthe durch die Frucht (aber nicht wie Herr Hegel und Troxler meinen) Lügen gestraft wird; so lügen die Kirschen nach dem gemeinen Sprichwort.

[184]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Thomas Johann Seebeck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-753C-9