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An Johann Heinrich Meyer

[Concept.]

Tennstedt am 29. Jul. 1816.

Mein sehnlichster Wunsch ist zu erfahren wie es Ihnen geht?

Daß Sie nicht mitreisten war für uns beyde ein Glück, denn ich habe niemals soviel Noth und Qual auf einem Wege von acht Stunden erlebt.

Daß Sie nicht hier sind darüber tröste ich mich auch, denn diese Witterung macht den Ort zu einem leidigen Aufenthalt, wo bey schönem Wetter wirklich ein thüringisches Paradies möchte gefunden werden.

Ich habe angefangen die Lage des Orts zu beschreiben, sie ist sehr merkwürdig und hat vielleicht nicht ihres gleichen.

St. Rochus-Fest ist gefördert. Mögen Sie den verabredeten Aufsatz indessen zu Stande bringen, so können wir Michaelis das zweyte Heft zum Druck befördern.

Schreiben Sie mir gefälligst wie weit Sie gekommen sind. Ich sende dagegen vielleicht bald das Schema von Künstler-Freiheiten, -Muthwillen und -Grillen. Dergleichen Dinge führen nur zu weit sobald [122] man sie ernstlich betrachtet, weil sie überall hingreifen.

Das Wetter ist fürchterlich. Gestern, in einem freundlichen Zwischenmomente, sahe ich, vom Thurm, den Ettersberg als wenn man ihn mit der Hand fassen sollte; da betrübte mich erst recht der unwegsame Zwischenraum, der mich weiter von Weimar entfernt als dreißig Meilen Chaussee. Und so müssen wir denn wieder im Islam, (das heißt: in unbedingter Hingebung in den Willen Gottes) verharren, welches uns dann fernerhin nicht schwer seyn wird, wenn es uns ein wenig glimpflicher geht als bisher.

Eine wundersame Kunst und Fabrik-Erscheinung!

In meinem Zimmer sind französische Papier-Tapeten, die mich schon sechs Tage in Erstaunen setzen.

Damit dieselben Bilder, welche die Wand füllen sollen, nicht zu oft wiederkehren; so sind vier größere und vier kleinere Späße ausgedacht, nach Categorieen die den Dichter beschämen könnten.

Die Bilder sind braun in braun, drey Tinten, dem Grund und dem aufgehöhten Weiß; also mit der heiligen Siebenzahl verfertiget! Die Patronen müssen in das feinste Messingsblech geschnitten seyn und doch begreift man es noch nicht; denn jede Technik hat ihre Geheimnisse.

So scheint mir zum Beyspiel einiges nur dadurch zu erklären, daß sie zuletzt den Grund, der sollte stehen geblieben seyn, noch einmal oben auftragen.

[123] Genug was Licht, Schatten, Haltung, Local-Tinten vermögen, ist eben so zierlich als flügelmännisch zum Effect benutzt.

Es ist als sähe man ein französisches Theater. Ich bringe ein paar Rollen mit.

Ja ich habe sogar die Grille, daß wir diese Dinge den Schülern, die aus der zweyten Classe scheiden sollen, als Übung, zum Probestück zumuthen könnten.

Hier ist noch keine Farbe; aber mehr als Farbe, da Helleres oder Dunkleres durch den Localton, wie im Kupferstich, gegeben ist.

Und so sehen Sie hier ein Exerzitium wie ich, als Schreibemeister zu Tenstet, ein sonderbares Leben, in der absolutesten Einsamkeit führe. Geben Sie mir bald Nachricht, mein Sohn theilt die andern Tagesblätter mit. Möge Ihre Wunde völlig geheilt seyn.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7581-D