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An Friedrich August Wolf

[16. December.]

Wenn Sie, verehrter Freund, selbst Ihrer Arbeit einige Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn Sie sich erinnern, wie sehr wir gerade diese Bemühungen von Ihnen erbeten, wenn Sie sich unsere Zustände und Denkweisen recht vergegenwärtigen; so können Sie sich selbst sagen, wie viel Freude Sie uns durch Ihre Sendung machen. Wir haben das Heft gelesen und wieder gelesen und werden einzelne Seiten desselben zum Text vielfacher Unterhaltungen legen. Ich sage wir, weil wir gerade in Jena uns in Gesellschaft [476] von mehrern theilnehmenden Freunden befinden. Ein beyliegendes Blättchen von Knebel drückt einigermaßen seine dankbaren Gesinnungen aus. Wir stehen alle zusammen mit Staunen und Bewunderung vor der weiten Gegend, von der Sie uns den Vorhang wegziehen; und wünschen sie nach und nach an Ihrer Hand zu durchreisen. Mit einer stolzen Demuth habe ich meinen Namen an einem so ehrenvollen Platze gefunden, und mit herzlicher Freude gedankt, daß Sie mich glauben lassen: ich habe durch meine früheren Anregungen und Zudringlichkeiten ein so verdienstliches Werk mit befördern helfen.

Ich bin schon über vier Wochen in Jena, und da ich hier immer einsam lebte, so finde ich es nicht einsamer als sonst. Ich hatte mir manches zu arbeiten vorgesetzt, daraus nichts geworden ist und manches gethan woran ich nicht gedacht hatte; d.h. also ganz eigentlich das Leben leben.

Werner der Thalsohn ist auch bald vierzehn Tage hier. Seine Persönlichkeit hat uns in seine Schriften eingeführt. Durch seinen Vortrag, seine Erklärung und Erläuterung ist manches ausgeglichen worden, was uns schwarz auf weiß gar schroff entgegenstand. Es ist in jedem Sinne eine merkwürdige Natur und ein schönes Talent. Übrigens läßt sich auch bey diesem Falle sehen, daß der Autor, wenn er einigermaßen vom Geiste begünstigt ist, seine Sachen selbst bringen und reproduciren solle. Er wird in diesem Tagen mit [477] mir zurück nach Weimar gehen. Durch seine Unterhaltungen sind wir auf die angenehmste Weise dem kürzesten Tage näher gekommen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1807. An Friedrich August Wolf. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-759A-8