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An Georg Sartorius

Alle diese Tage her, mein Werthester, widme ich Ihnen eine Zuschrift, welche mancherley enthalten sollte, und nun kommt Ihr freundliches Schreiben, meinen Glauben bestärkend an den alten Magus, welcher spricht: Immanet aër sicut anima communis quae omnibus praesto est, et qua omnes communicant invicem. Quapropter multi sagaces spiritus [186] ardentes subito ex aëre persentiscunt quod cogitat alter homo. Hierauf denn sogleich einige, wenn auch flüchtige Erwiderung.

Seit dem 21. März bin ich in Jena und habe in meinem Leben hintereinander nicht so viel Altes wiederholt, durchgedacht, aufgefrischt, redigirt, dictirt, ja immerfort drucken lassen, als wie diese Zeit her. Es mußte ja wohl auch einmal eine solche Epoche kommen, und ich wünsche, daß ich sie zu unterbrechen nicht nöthig habe.

Das Heft, welches ich durch mein Schreiben begleiten wollte, geht nächstens hier ab; geben Sie Ordre, daß es ihnen an die Schwefelquelle nachgesandt werde. Es ist wunderlich genug, um allenfalls dort einige Unterhaltung zu geben. Sogleich ein paar Bogen als Vorläufer, die ich aber nicht aus Händen zu geben bitte.

Lebhaft wie Ihr Wunsch ist der meinige, daß wir uns einmal wieder aussprechen und ausschwätzen mögen; denn gerade bey der Preßfreiheit und Preßsicherheit mag man nicht mehr schreiben, man muß immer fürchten, das babylonische Idiom noch mehr zu verwirren. Zu Michaelis erhalten Sie auch Neapel und Sicilien in dem Sinn, wie die vorhergehende Reise, und sie wird Ihnen, hoff' ich, ebenso viel bringen. Mir ist um nichts mehr zu thun, als so lang es noch gehen will, mich mit denen zu unterhalten, die mir gewogen sind.

[187] Da hab' ich denn, welches ich nicht verschweigen will, einen besonderen idiosynkratischen Trieb; daß ich meinen westöstlichen Divan, von dem Ihnen ja wohl irgend ein paar Musterstücke vorgekommen sind, gar zu gern meinen lieben beiden Gevattersleuten vorlesen möchte, und dieser Wunsch ist nun lebhaft seit 1815, wo das Werklein zu seiner gegenwärtigen Gestalt gelangte. Seit der Zeit ist nichts mehr daran geschehen, denn dergleichen, was aus dem Leben entsprang, will wieder lebendig mitgetheilt werden, damit es frisch wieder frisch aufschwelle und in seinen möglichen Knospen und Augen fortwachse. Nun stockt das alles in dem Winter politischer Zwiespaltsgegenwart, wo man ja auch nicht einmal in guter Gesellschaft ein heiteres, Geist und Seele befreyendes Lied so leicht mehr vernehmen wird.

Nach Italien wie, ich aufrichtig gestehe, habe ich keine weitere Sehnsucht; es ist ein in so manchem Sinn entstelltes und so leicht nicht wiederhergestelltes Land; von meinen alten Liebschaften und Thätigkeiten fänd' ich vielleicht keine Spur mehr. Neues zu säen und zu pflanzen ist zu spät, und wer möchte sich mit den neuesten Verirrungen dortiger deutscher Künstler persönlich befreunden oder befeinden.

Was mich aber, wenn ich einigermaßen mobil wäre, gewiß vom Platze ziehen würde, wären die Elginischen Marmore und Consorten, denn hier ist [188] doch allein Gesetz und Evangelium beysammen; alles Übrige könnte man allenfalls missen. Das vorläufige deshalb herausgegebene Werk läßt freylich noch Mehreres hoffen. Ich habe in England aufgestellt, um Kupfer oder einstweilige Zeichnungen baldmöglichst zu erhalten. Es ist doch wenigstens eine wohltätige Andeutung.

Und so immer im Anblick der jenaischen Kalkberge, welche dieses Jahr bey feuchtem Wetter höher hinauf als gewöhnlich grünen, den Freunden freundlichst angeeignet.

Jena, den 20. July 1817.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Georg Sartorius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-759E-F