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An Carl Friedrich Zelter

Ich verfehle nicht, mein theurer Freund, dir zu vermelden, daß die Rübchen glücklich angekommen sind. Der eingefallene Frost hat ihnen nichts geschadet, sie schmecken vortrefflich und sollen uns in dem zu erwartenden strengen Winter wohlthätig seyn.

Mit der fahrenden Post erhältst du ein wunderliches Werk, das dir gewiß zu einiger Unterhaltung dienen wird. Es ist von einem merkwürdigen aber freylich etwas seltsamen Manne und enthält eine neue Symbolik der Musikschrift. Statt der bisherigen Linien, Intervalle, Notenköpfchen und Schwänzchen setzt er Zahlzeichen und behauptet, daß man auf dieser Weise viel leichter wegkomme. Ich kann darüber nicht urtheilen: denn erstlich bin ich die alte Notenschrift von Jugend auf gewohnt und zweytens kann niemand zahlenscheuer seyn als ich, und ich habe von jeher alle Zahlensymbolik, von der Pythagoräischen an bis auf die letzten Mathematico-Mystiker, als etwas Gestaltloses und Untröstliches gemieden und geflohn.

Der Verfasser, der sich Dr. Werneburg nennt, ist[197] gewiß ein geborner mathematischer Kopf, der aber die eigne Art hat, daß er die Dinge, indem er sie sich erleichtert, andern schwer macht; deshalb hat er mit nichts durchdringen können und wird schwerlich jemals, sowohl in den bürgerlichen als denn wissenschaftlichen Verhältnissen, glücklich und zufrieden werden.

Sage mir ein Wort über dieses Büchlein: denn du wirst leicht übersehen, was ihm zu Gunsten und zu Ungunsten spricht.

Vor einigen Tagen, weil man in den Winterstunden manches Vergangene recapitulirt, fiel mir ein, Herr Friedländer habe mir voriges Jahr eine Jupiterbüste zum Tausch angeboten. Sie war nicht groß und von rothem Marmor. Ist sie noch vorhanden und seine Meynung diesselbe, so wäre mir's angenehm, wenn sie mir wohl eingepackt zugesendet würde. Ich wollte sodann, wie das vorige Mal, meine Gedanken aufrichtig darüber mittheilen und das Beste was ich zu geben habe, dagegen anbieten. So besitze ich eine Medaille von Cellini doppelt, es ist diejenige von Moses und der Umschrift: ut bibat populus, die ich wohl hochschätzen muß, weil ich dreyßig Jahre vergebens danach getrachtet habe, und sie alsdann durch sonderbare Zufälle in einem Jahre doppelt erhielt.

Vielleicht hat der Besitzer der büste noch eine andere Liebhaberey, der ich entgegenkommen kann.

[198] Nun will ich aber auch für die übersendeten Comödienzettel danken. Sie werden nun gebunden und ich kann euren Berlinischen Theater- und Musikfreuden des ganzen Jahres in Gedanken folgen.

Wenn es mir immer leid thut, daß ich deine akademischen Abende nicht mitfeyern kann, so thut es mir auch weh, daß du manche schöne Vorstellung unserer Schauspieler nicht mit ansiehst. Neulich haben sie Romeo und Julie wieder ganz vortrefflich und zu Jedermanns Zufriedenheit gegeben. In Berlin müssen sie mit diesem Stücke sehr täppisch umgegangen seyn.

Ifflanden erwarten wir noch vor dem neuen Jahr. Ich freue mich sehr, ihm noch so langer Zeit einmal wieder zu sehen und die er jede Rolle zu adeln weiß. Er ist wohl eine der seltensten Erscheinungen und ich glaube, daß sie noch bey keiner andern Nation Staat gefunden, daß der größte Schauspieler sich meistens Rollen aussucht, die ihrem Gehalt nach seiner unwürdig sind und denen er durch seyn Spiel den höchsten augenblicklichen Werth zu verschaffen weiß. Genau betrachtet hat ein solches Verfahren auf den Geschmack des Volks einen höchst ungünstigen Einfluß: denn indem man genöthigt wird, unter einer gegebenen Bedingung dasjenige zu schätzen, was man sonst nicht achtet, so kommt ein Zwiespalt in unser Gefühl, der sich bey der Menge gewöhnlich zu Gunsten des Geringen und Verwerflichen schlichtet, das sich [199] unter dem Schutze des Vortrefflichen eingeschlichen hat, und sich nunmehr als vortrefflich behauptet.

Wir wollen aber diese Betrachtungen für uns behalten; sie nützen der Welt nicht, die immer in ihrem Wuste hingehn mag.

Indessen ich nunmehr am dritten Theile meiner Biographie schreibe, gelange ich zu den ersten Wirkungen Shakespears in Deutschland. Ob sich wohl hierüber noch etwas neues sagen läßt? – Ich hoffe es. Ob ich Jedermann nach dem Sinne sprechen werde? Daran zweifle ich sehr. Und da die Deutschen von jeher die Art haben, daß sie es besser wissen wollen als der, dessen Handwerk es ist, daß sie es besser verstehn, als der, der seyn Leben damit zugebracht, so werden sie auch dießmal einige Gesichter schneiden, welches ihnen jedoch, in Betracht ihrer übrigen Untugenden, verziehen werden soll.

Verzeihe mir nun aber auch, liebster Freund, wenn ich in meinen Briefen manchmal auch sauer sehe. Alte Kirchen, dunkle Gläser, sagt das deutsche Sprüchwort, und die kurzen Tage machen auch nicht heller. Meine Heiterkeit bewahre ich mir hauptsächlich für die biographischen Stunden, damit sich in die Reflexionen, die doch einmal hergestellt werden sollen, nichts Trübes und Unreines mische.

Und somit Gott befohlen! Laß mich bald etwas vernehmen und lernen.

Weimar den 12. December 1812.

G. [200]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-75B0-3