27/7547.

An Carl Friedrich Zelter

Beyliegenden Entwurf sende im Concept. Er ist zwar sehr eilig ja übereilt, allein zu Anbiß und Anregung genug. Setze deine Gedanken und Forderungen gleich daneben und sende die Blätter zurück, so wird sich alles geschwind gestalten.

[232] Die Leser und Meiner, die mir dein letzter Brief vorführt, mögen zu den Gesellen in Auerbachs Hof gehören, von denen Mephistopheles schon vor 50 Jahren gesagt hat: alles spüren die Kerle nur nicht den Teufel und wenn er ihnen noch so nah ist.

Auch hier merken sie nicht, daß sie mit dem Regenwurm, der so glatt hinunter zu gehen scheint, einen Angel verschluckender ihnen zu schaffen machen wird. Das Büchlein wird sie noch manche Zeit im Bauche grimmen.

Die Schiffer-Melodie stand in einem Bande Rousseau'scher Lieder-Compositionen die etwa vor 30 Jahren herauskamen, sie ist mir wie tausend andere Dinge abhanden gekommen sonst würd ich sie senden.

Und somit allen Musen empfohlen

Weimar d. 14. November 1816.

G.


[Beilage.]

Um die freundliche und aufregende Unterhaltung nicht stocken zu lassen, sag ich ein Wort zu jenem Vorsatz, dem Reformations-Jubiläum eine Cantate zu widmen; im Sinne des Händelschen Messias, in welchen du so wohl eingedrungen bist, würde sich es wohl am besten schicken.

Da der Hauptbegriff des Lutherthums sehr würdig begründet ist, so giebt er schönen Anlaß sowohl zu dichterischer als musikalischer Behandlung. Dieser Grund nun beruht auf dem entschiedenen Gegensatz[233] von Gesetz und Evangelium, sodann auf der Vermittelung solcher Extreme. Setzt man nun, um auf einen höheren Standpunct zu gelangen, anstatt jener zwey Worte die Ausdrücke Nothwendigkeit und Freyheit, mit ihren Synonymen, mit ihrer Entfernung und Annäherung; so siehst du deutlich, daß in diesem Kreise alles enthalten ist, was den Menschen interessiren kann.

Und so erblickt denn Luther in dem alten und neuen Testament das Symbol des großen sich immer wiederholenden Weltwesens. Dort das Gesetz, das nach Liebe strebt, hier die Liebe, die gegen das Gesetz zurückstrebt und es erfüllt, aber nicht aus eigener Macht und Gewalt, sondern durch den Glauben; und zwar durch den ausschließlichen Glauben, an den allverkündigten und alles bewirkenden Messias.

Aus diesem Wenigen überzeugt man sich, wie das Lutherthum mit dem Papstthum nie vereinigt werden kann, der reinen Vernunft aber nicht widerstrebt, sobald diese sich entschließt, die Bibel als Weltspiegel zu betrachten; welches ihr eigentlich nicht schwer fallen sollte.

Diese Conceptionen in einem singbaren Gedichte auszusprechen, würde ich mit dem Donner auf Sinai, mit dem: Du sollst! beginnen; mit Christi Auferstehung aber, und dem: Du wirst! schließen.

Zu mehrerer Erläuterung meines Plans setze die Folgenreihe des Ganzen hieher.

[234] Erster Theil.

1) Die Gesetzgebung auf Sinai.
2) Das kriegerische Hirtenleben, wie es uns das Buch der Richter, Ruth u.s.w. darstellt.
3) Die Einweihung des Tempels Salomonis.
4) Das Zersplittern des Gottesdienstes, der sich auf Berge und Höhen wirft.
5) Die Zerstörung Jerusalems, und in Gefolg derselben die Gefangenschaft zu Babel.
6) Propheten und Sibyllen, den Messias ankündigend.

Zweyter Theil.

1) Johannes in der Wüsten, die Verkündigung aufnehmend.
2) Die Anerkennung durch die drey Könige.
3) Christus erscheint als Lehrer und zieht die Menge an sich. Einzug in Jerusalem.
4) Bey drohender Gefahr verliert sich die Menge; die Freunde schlafen ein; Leiden am Ölberg.
5) Auferstehung.

Hält man die beyden Theile gegen einander, so erscheint der erste absichtlich länger, und hat eine entschiedene Mitte, woran es jedoch dem zweyten auch nicht fehlt.

Im ersten Theile parallelisiren No. 1 und 5: Sinai und die Zerstörung die Zeit der Richter und der Baalsdienst; No. 2 und 4: idyllisch enthusiastisch, die Einweihung des Tempels als höchster Gipfel u.s.w.

[235] Im zweyten Theile würde sich das morgendliche, der Sonnenaufgang in No. 1 und 5 steigernd ausdrücken. No. 2 und 4 sind im Gegensatz. No. 3 Einzug in Jerusalem, möchte die freye, fromme Volksfreude, wie die Einweihung des Tempels die fürstlich priesterliche Begränzung des Gottesdienstes ausdrücken.

Tausend andere Verhältnisse werden dir bey'm er sten Anblicke einfallen. Diese Dinge dürfen nicht historisch sondern lyrisch verknüpft werden; jedermann kennt das Ganze und wird sich auf Flügeln der Dichtkunst gern aus einer Region in die andere versetzen lassen.

Der Text bestünde aus biblischen Sprüchen, bekannten evangelischen Liedern, dazwischen Neugedichtetes, und was sich sonst noch finden würde. Eigene Worte Luthers möchten kaum anzuwenden seyn, da der treffliche Mann durchaus dogmatisch-praktisch ist; so auch sein Enthusiasmus. Doch ist es deine Sache, dich in den Schriften selbst umzusehen. Vor allen Dingen lies die ganz unschätzbare Vorrede zu dem Psalter. Ferner die Vorreden und Einleitungen in die übrigen biblischen Bücher. Wahrscheinlich triffst du hier auf anwendbare Stellen, zugleich durchdringst du dich vom Sinn der ganzen Lehre, deren Geschenk wir feyern wollen.

Vielleicht ist's hier am Platze zu dem Obgesagten, den Katholicismus betreffend, ein Wort anzufügen. Bald nach ihrer Entstehung und Verbreitung litt die[236] christliche Religion durch sinnige und unsinnige Ketzereyen, sie verlor ihr ursprüngliches Reine. Als sie aber gar rohe Völker und verderbte Gesittete bändigen und beherrschen sollte, waren derbe Mittel nöthig; nicht Lehren, sondern Dienst bedurfte man. Der einzige Mittler zwischen dem höchsten Gott des Himmels und den Erdemenschen war nicht genug u.s.w. was mir alle wissen; und so entstand eine Art von heydnischem Judenthum, das noch bis auf den heutigen Tag lebt und webt. Das mußte alles in den Gemüthern umgeworfen werden, deshalb bezieht sich das Lutherthum einzig auf die Bibel. Luthers Verfahren ist kein Geheimniß, und jetzt da wir ihn feyern sollen thun wir es nur alsdann im rechten Sinne, wenn wir sein Verdienst anerkennen, darstellen was er seiner Zeit und den Nachkommen geleistet hat. Dieses Fest wäre so zu begehen, daß es jeder wohldenkende Katholik mitfeyerte. Doch davon ein andermal.

Baue dir, wenn mein Plan gefällt, selbst etwas auf, theil es mit und ich will eingreifen. Soviel, wo nicht zuviel für dießmal.

In eben dem Sinne ist auch das Monument schon erfunden, die Weimarischen Kunstfreunde arbeiten vor. Wir machen kein Geheimniß daraus, und wollen wenigstens einen Stein in's Brett setzen.

Weimar, den 14. November 1816.

G. [237]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Carl Friedrich Zelter Erster Theil. Zweyter Theil.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-75B4-C