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An Sulpiz Boisserée

Rücksendung zu erfreuen hatten; und so kann nach seiner Wiederkehr an gar manchem im öffentlichen und Privatbesitz vorhandenen guten Bilde die nöthige Nachhülfe geschehen.

Von den Wirkungen meiner Farbenlehre erfahr ich manches Merkwürdige, aber nicht durchaus Erfreuliche. Die alte aristokratische Stockung der Zunftgenossen dauert wie billig fort; sie wiederholen ihr Credo wie es zu erwarten ist. Dieses Geschlecht muß aussterben und zwar in gewisser Zeit, wie Charles Dupin ausgerechnet hat. Den wohlmeynend-strebenden jüngeren Männern steht zweyerley entgegen: die herkömmliche Terminologie, die sie wenigstens theilweise fortbrauchen müssen, sogar wenn sie es auch schon besser verstehen, weil sie sich doch der Mitwelt verständlich machen und es mit der Zunft nicht ganz verderben möchten. Das zweyte Hinderniß liegt in der unbezwinglichen Selbstigkeitslust der lieben Deutschen, so daß jeder in seinem Fache auch auf seine Weise gebahren will. Niemand hat einen Begriff, daß ein Individuum sich resigniren müsse, wenn es zu etwas kommen soll; da ist denn nicht leicht ein Begleiter, der nicht rechts und links abwiche und so wie vom Weg auch vom Ziel abkäme.

[77] Professor v. Henning in Berlin ist bey der Klinge geblieben und hat in dem reingezogenen Kreise einige schöne Entdeckungen gemacht, Lücken ausgefüllt, Vollständigkeit und Fortschritt bewirkt. Er trägt unsere Chromatik diesen Sommer abermals vor. Einige seiner Schüler haben sich in Jever an der Nordsee niedergelassen und haben als dort Angestellte einen Kreis gebildet, worin sie diese Studien sehr glücklich und gehörig fortsetzen. Das mag sich denn so in der Folge fort- und ausbilden, bis es einmal greift und Mode wird; worauf aber alles ankommt ist, daß man gewahr werde, welche praktische Vortheile aus dieser Ansicht und Methode sich entwickeln.

Die Verlobung unserer Prinzeß Maria ward uns vielbedeutend und aufregend [durch] das öftermalige Erscheinen des hohen Bräutigams und seiner königlichen Brüder, mir besonders [durch] das Wohlwollen Ihro Königlichen Hoheit des Kronprinzen, der mir durch Übersendung einer sehr schön gearbeiteten Copie eines kleinen Jupiters in Bronze, der sich in den Oderbrüchen gefunden hatte, die zarteste Aufmerksamkeit bewies. So kam der May heran und ich ward gelockt in den Garten am Park zu ziehen, wovon ich großen Nutzen hatte; denn ich förderte manches Alte, ergriff einiges Neue und gewann gar vieles von einer reineren, obgleich auch öfters unterbrochenen Ruhe.

Indessen näherte sich die Abreise unserer geliebten Prinzeß, die ich mit ihren hohen Eltern an einem[78] schönen Tage nochmals in meinem Garten sah und nachher bey ihrer feyerlichen Abfahrt in der Allee des Webichts, durch herzlichen Trieb dorthin geführt, begrüßte. Dieß geschah den 22. May und so zog denn dieses liebe Wesen von uns in einen neuen Zustand, wo es ihr, wie wir durchaus vernehmen, wohl und erfreulich geht.

Indessen war mir aus Edinburg eine Sendung zugekommen, mit einem Schreiben von einem Manne, der im mittlern Alter seyn mag und sich mit der deutschen Literatur aus eine wundersam-innige Weise bekannt gemacht hat. Eine Biographie Schillers zeugt von dem reinsten Antheil, von einer warmen und zugleich einsichtigen Verehrung dieses außerordentlichen Mannes.

Ein Werk in vier Bänden eben dieses Herrn Thomas Carlyle, German Romance, liefert Übersetzungen aus den Werken unserer deutschen Erzähler: Musäus, Tieck, La Motte Fouqué, Hoffmann, mit kurzen Lebensnotizen von diesen sämmtlichen; der vierte Band enthält meine Wanderjahre und von meinem Leben eine freundliche Darstellung.

Überhaupt ist hier zu bemerken, was schon früher von der Schillerischen Biographie dieses Verfassers gesagt worden; alle diese kurzen Biographien sind mit Neigung, aber mit Klarheit geschrieben; was er als Mängel seiner Autoren tadeln könnte, das behandelt er als Eigenschaften und Eigenheiten, und so entsteht[79] doch zuletzt das Bild eines lebendigen, wenn auch nicht durchaus lobenswürdigen Menschen.

So endete der May, Junis Anfang soll nicht außen bleiben. Alles treulichst zu melden bestrebt.

W. 25. S. 1827.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-75EF-A