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An Johann Jacob von Willemer

Es ist zwar wohlgethan, mein Theuerster, seinen entfernten Freunden nichts von den unangenehmen Ereignissen zu melden, die uns betreffen; denn bis die Nachricht in die Ferne gelangt, hat sich wohl alles wieder gebessert und hergestellt; allein wenn dieß eine Zeitlang dauert, so kommt man in den Fall zu verstummen, untheilnehmend und nachlässig zu erscheinen.

[32] Sie haben mir, werthester Freund, in diesen letzten Tagen durch ein wichtiges ausführliches Werk gezeigt, daß Sie sich noch immer mit demjenigen ernstlich beschäftigen, was dem Menschen das Höchste und Wertheste bleibt, mit sittlichen und religiösen Verhältnissen. Hieraus glaube ich nun folgern zu dürfen, daß Sie sich sowohl über eigne Lebensereignisse, welche nicht immer die erfreulichsten sind, sowie über das Schicksal Ihrer Freunde, die denn auch wohl mitunter unsanft vom Tage berührt werden, wie sonst, in gehöriger Fassung erhalten und sowohl selbst zu dulden, als mit Andern still zu leiden, in freundlicher Stimmung sind. Vernehmen Sie also:

Nachdem uns Weimaranern vergönnt war, eine Reihe von fünfzigjährigen Jubelfesten auf eine heitere und dankbare Weise gegen das gute Geschick zu feyern und uns dabey mit Freuden gar mancher Pflicht zu entledigen, so ward unser Zustand durch die Todesnachricht des Kaisers Alexander höchst angreifend erschüttert. Das schöne innere gesellige Verhältniß unserer Fürstlichen Familie war durch die traurigen Folgen dieses Ereignisses auf einmal gestört. Die zunächst sich Anschließenden und von dem Wohlbefinden ihres Fürstenhauses am freudigsten Mitgenießenden wurden auf einmal der gewohnten Unterhaltung und angenehmster Mittheilung beraubt, und eine über die ganze Welt sich verbreitende Ahnung trat bey uns als die schmerzlichste Wirklichkeit ein.

[33] Hieran schloß sich denn, wie es zu geschehen pflegt daß zu gewissen Zeiten ganz und gar unzusammenhängende Übel in einer Folge herantreten, gleichsam als wenn sie zusammengehörten, manches Unerfreuliche; und so setzten uns Sterbefälle durch bedeutenden Verlust in unangenehme Lagen; wir entbehrten eines vieljährig geprüften Arztes tägliche Theilnahme und auch in Geschäften sahen wir uns hie und da von Beyrathenden und Eingreifenden verlassen. Ein schweres fast hoffnungsloses Krankheitsübel ergriff, bey geringem Verkältungsanlaß, meinen vieljährigen Haus- und Kunstfreund, den Hofrath Meyer; und damit es ja an den nächsten Berührungen nicht fehle, so verunglückte meiner Schwiegertochter ein Versuch, durch Reiten ihre Gesundheit zu verbessern, und ich war ganz nahe daran die Rolle des Herzogs in der natürlichen Tochter übernehmen zu müssen. Dieses sind nun die vorzüglichsten Unglücksjuwelen, noch mit manchem kleineren carmosirt und verbrämt, so daß ich glaube genug gesagt zu haben und kaum hinzuzufügen brauche, daß meine eigne Constitution, durch so manches unerwartete Unerfreuliche bestürmt und angegriffen, nicht gehörigen Widerstand leisten konnte, sondern sich aus dem Zustande einer muthigen Gegenwirkung in den eines ausdauernden Duldens versetzt sehen mußte.

Dieß alles sey aber nicht geklagt, sondern einem Manne vertraut, der in manchen Stürmen des Lebens aufrecht gestanden und, wie seine fortdauernde Beschäftigung [34] ausweist, sich und Andere zu guter und böser Stunde in sittlich-religiosem Gleichgewicht zu erhalten bemüht ist.

Denken Sie hiebey, wie höchst lästig eine solche Mißstimmung mir in dem Augenblicke seyn muß, da ich so eben die Anzeige der neuen Ausgabe meiner Werke in's Publicum zu bringen und deshalb, was mir an Geisteskräften gegönnt ist, räthlich zusammen zu halten habe.

Lassen Sie daher sich gedachtes Unternehmen doppelt empfohlen seyn; denn indem wir auf längere Dauer innerhalb der thätigen Welt Verzicht thun, so ist es ein erquickender Gedanke, selbst in den Tagen, die uns nicht gefallen, für das Glück und die Freude der Unsrigen das Möglichste zu wirken. Möge Ihnen in Ihrem weiten und würdigen Wirkungskreise alles zum Besten gedeihen.

treulichst

Weimar den 16. May 1826.

Goethe.


Vorstehendes lesend wird ja wohl auch die liebe Freundin mit einigen Worten mich zu erquicken geneigt seyn.

G. [35]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1826. An Johann Jacob von Willemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7600-5