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An Johann Christian Kestner

Donnerstags Vormittag.

[Frankfurt, 28. Januar 1773.]

Das waren wunderliche 24 Stunden. Gestern Abend putzt ich meine Freundinnen auf den Ball, ob ich gleich nicht selbst mitging. Der einen hat ich aus der Fülle ihres Reichthums eine Egrette von Juwelen und Federn zusammen gestutzt, und sie herrlich geziert. Und einmal fiel mirs ein wärst du doch bei Lotten und putztest sie so aus. Dann ging ich mit Antoinetten und Nannen auf die Brücke einen Nachtspaziergang. Das Wasser ist sehr gross rauschte stark und die Schiffe alle versammelt in einander, und der liebe trübe Mond ward freundlich gegrüsst, und Antoinette fand das alles paradiesisch schön und alle Leute so glücklich die auf dem Land leben, und auf Schiffen, [60] und unter Gottes Himmel. Ich lass ihr die lieben Träume gern, macht ihr noch mehr dazu wenn ich könnte. Wir gingen nach Hause und übersetzt ihnen Homer, das ietzt gewöhnliche Lieblingslecktüre ist. Die andern waren gefahren zu tanzen.

Heut Nacht weckt mich ein grässlicher Sturm um Mitternacht. Er riss und heulte, da dacht ich an die Schiffe und Antoinetten und lies mir wohl seyn in meinem zivilisirten Bette. Kaum eingeschlafen weckt mich der Trommelschlag und Lärm und Feuerrufen, ich spring ans fenster, und sehe den Schein starck aber weit. Und binn angezogen. und dort. Ein großes weites Haus, das Dach in vollen Flammen. Und das glühende Balkenwerck, Und die fliegenden Funcken, und den Sturm in Glut und Wolken. Es war schweer. Immer herunter brants, und herum. Ich lief zur Grosmutter die dorthin wohnt. sie war im Ausräumen des Silberzeugs. Wir brachten Alle Kostbaarkeiten in Sicherheit und nun warteten wir des Schiksaals Weeg ab. Es dauerte von ein Uhr bis vollen Tag. das Haus mit Seiten und hintergebäuden auch Nachbaars Wercke liegt. Das Feuer ist erstickt, nicht gelöscht. Sie sind ihm nun gewachsen es wird nicht wieder aufkommen. Und so sag ich euch nun geseegnete Mahlzeit. Mit überwachten Sinnen ein wenig als hätt ich getanzt, und andere Bilder in der Immagination. Wie werden meine Tänzer nach Hause kommen seyn? Adieu liebe Lotte, lieber Kestner.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1773. An Johann Christian Kestner. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7636-D