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An Johann Heinrich Meyer

Aus meinem botanischen Gartenlogis schreibe ich in den ersten Stunden, Sie zu begrüßen und zu melden, daß Hofrath Rochlitz sich auf's freundlichste über unser Heft aus dem Stegreif herausgelassen. Nachdem er sich durch Schätzung des Echten und Rechten der alten Kunst eifrig verwahrt, fährt er fort:

»Nun aber jener Mißbrauch bey der kunstbeflissenen Jugend!- Nach dem, was Sie darüber äußern, scheint es fast, es ist Ihnen noch nicht bekannt worden, bis zu welchem Grade er aufgestiegen. Ich bin darüber, und zuverlässig, von Rom, Wien, München und andern bedeutenden Orten unterrichtet. (Die Dresdner, Friedrich ausgenommen, schlendern nur mit; Hartmann und Kügelgen haben der Zeit sparsame und wohlfeile Opfer gebracht.) Was ich von dort erfahre, erregt mich zu schmerzlichem Mitleid, welch ein herrlicher, seit langen Jahren unter deutscher Malerjugend nicht so angehäufter Fonds von Geist, Kraft, Liebe, Geschicklichkeit, Fleiß und Beharrlichkeit durch solche geistige Onanie fruchtlos vergeudet wird. Daß ich nur Einiges anführe! In Rom haben sich die Altneuen von allen Andern nun völlig und rottenweis gesondert, und bezeigen diesen nicht unter sich, sondern höhnen, schmähen und verfolgen offensiv, wenigstens [103] die jungen deutschen Ankömmlinge und Studirenden, wenn sie sich nicht bekehren und lassen und, was damit in unmittelbare Beziehung gebracht wird, zum Katholicismus übergehen wollen. Cornelius und Overbeck, bessere Menschen und bessere Künstler, sind zwar nicht unter den Häuptlingen, müssen aber zuhalten. Selbst Männer, wie unser Reinhard, werden frech gehudelt, bis etwa Einer mit der Faust dreinschlägt; wozu wenigstens dieser stets schlagfertig steht. Dieß reizt nun allerdings wieder eine Opposition, und treibt wieder diese – entweder zu entgegengesetzten, gleichfalls schädlichen Extremen, oder zu unmuthigem, die Zeit verachtenden Nichtsthun, wie eben Reinharden. Die vornehmen Römer und andere wahrhaft bedeutende Nichtdeutsche aber verachten jene Jugend und ihr Wesen, laut oder geheim, und eben so um ihres katholischen Fanatismus als um ihrer Kunstabgötterei willen. – Von Wien aus habe ich eine nicht unbeträchtliche Anzahl Gemälde und eine Menge Zeichnungen von den Brüdern Schnorr (Söhne Schnorrs in Leipzig), von den Brüdern Olivier (Söhne des Dessauischen Pädagogen) und von andern jungen Männern gesehen, die mir das Herz, eben um jenes Guten und Schlimmen willen, tief bewegt haben. Und so weiter!«

Zu Bethätigung daß er immer so gedacht, auch früher solche Wünsche freilich geäußert, sendet er ein Blatt musikalischer Zeitung, aller Ehren werth. Ich habe ihn aufgerufen Theil zu nehmen, wie Sie [104] Ruckstuhlen. Da sich alles in Vereine trennt, so werden wir den unsrigen ja wohl auch sammlen.

Ein Geschwulst am linken Fuße, den ich mir durch unvorsichtige Wandelung auf feuchtem Boden zugezogen habe, ist mir im Moment beschwerlich und deutet mir auf zukünftige Hindernisse. Die ehrenwerthen Äußerungen unserer hohen Damen erregen leider nur in mir Bedauern, denn wie sollte ich mit solchen Gebrechlichkeiten der Welt nur einigermaßen angehören. Gedenken Sie mein, und schreiben Sie mir bald.

Jena den 28. May 1817.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7637-B