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An Carl Ludwig von Knebel

Es ist sehr wacker von dir, mein wahrer alter Freund, daß du mich schriftlich begrüßest, da ich freylich nicht hoffen konnte dich hier zu sehen. Ich habe meinen Wagen nach Hause geschickt, sonst hätt ich dich schon besucht; die Wege auf der Höhe sind widerwärtig fahrbar, den Berg hinunter mag man auch nicht, weil die steile Rückkehr den Pferden allzu schwierig und den Fahrenden fast ängstlich wird.

Also sitz ich hier auf dieser Felsenburg, von der aufgehenden Sonne geweckt, mit der scheidenden gleichfalls Ruhe suchend, den Tag über in gränzenloser, fast lächerlicher Thätigkeit. Es sähe prahlerisch aus herzurechnen, wieviel Alphabete ich gelesen und wieviel [280] Buch Papier ich verdictirt habe. Ich hoffe von allem diesen, daß auch dir manches zu Gute komme.

Indessen hier Kunst und Alterthum, wogegen du mir eine Freundlichkeit erweisen würdest, wenn du die Puncte bezeichnetest, die dich besonders angeregt haben. Bey dem Vielfachen, in Tag und Luft Hineingeschriebenen, ist es belohnend zu erfahren, daß eins und das andere von einem guten Geiste widerklingt.

Staatsrath Loder hat mir ein sehr angenehmes Ge schenk gesendet; es ist prächtig verguldetes Gypsmodell oder Abguß von dem Stücke gediegenen Goldes, welches am Ural gefunden worden ist; das Gewicht des Originals beträgt beynahe einen Viertelzentner. Es wird bey dem Cadetten-Corps in St. Petersburg aufbewahrt.

Ein Herr Professor v. Engelhardt zu Dorpat hat auf Anordnung der Regierung jene Gegenden besucht und als ein recht wackerer sinniger Geolog uns das Herkommen dieses Schichten- und Bodengoldes aus der Verwitterung der darüber stehenden Grundgebirge nachgewiesen. Die Erfüllung dieses seit einigen Jahren gehegten Wunsches hab ich also auch noch erlebt und diesen blendend-imposanten Fetisch als Hausgötzen in meiner Reise-Capelle aufzustellen die Freude gehabt.

Eine artige Reise nach Großheringen zu dem Zusammenfluß der Ilm und Saale und zu der dortigen Saline habe, in Gesellschaft unseres jungen Actuarius Dr. Stichling dahier, unternommen und glücklich ausgeführt. [281] Dieser, ein Enkel Wielands, ist ein gar angenehmer, gebildeter, wohldenkender und unterrichteter Mann.

Sonst hab ich auf meinem Montserrat recht viel willkommene Besuche gehabt, zuletzt denn den menächmischen Robinson mit seiner wirklich allerliebsten Gattin. Sie sieht so hübsch und so eigensinnig aus, daß man hoffen kann, sie werde sowohl in der alten als neuen Welt glücklich durchkommen.

Eigentlich aber war doch meine Hauptbeschäftigung in botanischem Sinne und zuletzt auch der Weinbau. Wenn die reichlichste Lese begünstigt wird, so muß es auffallen, daß man gerade seit kurzem anfing, die bisherige Behandlung zu tadeln und ein ganz neues Verfahren vorzuschlagen.

Dieß mußte mich, von diesen Gegenständen umgeben, höchlich interessiren und ich habe mich drey Wochen her auf das sorgfältigste darum bekümmert, sowohl das Alte als das Neue auf physiologische Kenntnisse und Begriffe zurückzuführen gesucht und das Letztere ganz vorzüglich der Natur angemessen befunden.

In Jena, hör ich, sey man auch schon aufmerksam auf dieses Problem; ich bin sehr neugierig, mit eigenen Augen anzuschauen, wie man sich dabey benimmt.

Außer diesem Geschäft hab ich anderes angefangen, was ich noch abschließen möchte, eh ich diese Burgen [282] verlasse; alsdann wünsche aber einige Zeit in Jena zuzubringen, woraus sich denn für uns manche gute Stunde ergeben müßte; denn außerdem hab ich noch vieles mitzutheilen, weil sich immer eins an's andere kettet und fügt.

Dagegen aber hoff ich, daß du mir von deiner vielseitigen Lecture auch mein Theil nicht versagen wirst. Besonders wünsche von der Wedekindischen Unsterblichkeit zu vernehmen. Wenn die entelechische Monade dieses wackern Mannes sich von Ewigkeit her in der Schöpfung herumtreibt, so gibt mich's Wunder, daß sie nicht einmal auf das so häufig ausgesäte Schönheitsprincip gestoßen ist und etwas davon seiner respectablen Individualität zugeeignet hat, welches denn doch für die empirische Erscheinung nicht zu verachten wäre.

Von Weimar hört man nichts als Gutes, Liebes und Verständiges; daran wollen wir uns denn erfreuen und uns um desto eher zu einem frischen gemeinsamen Leben herzustellen wissen.

Zunächst also in Hoffnung baldigen Wiedersehens.

treulichst

Dornburg den 18. August 1828.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-763F-C