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An Carl Friedrich Zelter

Nun, das sieht nun doch einmal nach etwas aus! Ich verlasse dich, Champagner-Gesundheit anstoßend mit der unwiderstehlichen Fürstin, und jetzt erblick ich dich auf der salzigen Wogenbreite, im Begriff den schlechtesten Soff hinunterzuschlucken, welchem kein Profit zu rufen ist.

In unserer Jugend haben wir auch solche Streiche gemacht, mit heiler Haut, ohne Zweck und Noth, uns in Gefahr zu stürzen; dem Kaufmann soll man nicht übel nehmen, dergleichen zu unternehmen, aber auch uns nicht. Du hast durch die That bewiesen, daß noch einige Jugend in dir stickt, und einen großen Gewinn als Mensch und Musiker erworben.

Daran laß uns nun genügen, wie dir denn der Spiegel deiner Reisefahrt, abermals, auf klarem Papier, von sauberer Hand, nächstens entgegen leuchten soll.

Mich, den mittelländischsten Menschen, haben indeß die besten Wallfahrer auf meinen Höhen besucht. Die vier Berliner können manches erzählen und vorweisen. Was alles aus diesen bewegten Bemühungen werden soll und kann, möchte sich schwerlich vorhersagen lassen.

Im Ganzen haben mir die vier Freunde, durch Gegenwart und Erzählung, durch Thun und Reden, [238] die Turbulenz einer sehr großen Stadt gar lebhaft und erfreulich zur Einsiedeley gebracht. Es klingt manches nach, das sich heilsam bey mir ausbildet.

In der Zeit aber, da du als Odysseischer Vagabund dich erfrechtest, auf dem schwarzen gefährlichen Rücken des Meeres zu reiten, hab ich mich stille zu Hause gehalten und werde dir einige Hefte Zwieback, aber nicht von der Schiffsorte, zusenden können; daran magst du dich in den schon leider hereinbrechenden langen Abenden, oder zu welcher Tags- und Nachts-Zeit es beliebt, so gut es gehen will erquicken, vielleicht auch belehren. Verdrießliches wird nichts entgegen springen.

Ich habe die Zeit her fast mit niemand gesprochen, besonders wenn sprechen allenfalls heißt: wechselseitig reden wie man denkt. Mein ganzes Daseyn seit fünf Monaten steht auf dem Papier; du würdest dich verwundern, die gränzenlosen Fascikel zu sehen, die immerfort geheftet werden; einiges, was ich in öffentlichen Anstalten, außer Hause, gethan habe, wird auch von Verständigen gebilligt.

Dieser meiner entschiedenen Einsamkeit und Dictirgewohnheit verdankst du denn auch diesen Brief, welcher am Abende der Ankunft des deinigen ausgefertigt wird. Damit aber du Wellengeschaukelter, Meeresgeruchschnufflender, Ufersehnsüchtiger, im Stillen und Ruhigen diesen Winter, an das gefährliche Große dich erinnernd, vergnügliche Stunden genießen [239] könnest, so rath ich dir ein Gedicht anzuschaffen: Olfried und Lisena in zehn Gesängen und über 600 Stanzen, von August Hagen, einem Jünglinge in Königsberg.

Wenn auch diese Speise deinem derben Gaumen und guter Verdauungskraft hie und da allzuleicht erscheinen möchte, so wirst du gewiß entzückt seyn, gerade deinen Ostseeduft durch das ganze Büchlein anwehend zu spüren. Es ist eine wundersame Erscheinung, die mir viel Freude gemacht hat.

Nun aber erst, womit ich hätte anfangen sollen, wenn die frohen Melodien dieser Welt nicht so oft mit Sordinen müßten gespielt werden. Meine Schwiegertochter hat abermals einen tüchtigen Jungen zur Welt gebracht; nur hat sie bey ihrer zarten Natur in der Schwangerschaft gränzenlos gelitten, und wenn ich aufrichtig seyn soll; so fürcht ich noch immer für sie. Weiter kann ich nichts sagen, als daß ich auch hier mich im Islam zu halten suche.

Geht es in unserm Hause gut, so wär es liebenswürdig, wenn du Anfang November bey uns einsprächst; denn alsdann bin ich erst wieder bey mir selbst eingekehrt. Hierher kann und mag ich dich nicht laden; auch hab ich noch sechs Wochen soviel zu thun, daß ich wenig freye Stunden vor mir sehe. Zufällig trafen es die Berliner Freunde, sie kamen gerade in einer Pause meiner sämmtlichen Thätigkeit. Somit mag es denn auch genug seyn, diese Blätter[240] dich begrüßen und bald wieder ein Schreiben vom festen Pflaster, oder vom lockern, doch nicht wogenden Sande aus, auf mich hervorlocken.

treulichst

Jena den 20. September 1820.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-765F-4