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An Sulpiz Boisserée

Es ist sehr schön und läßt eine ahnungsreiche Gemüthlichkeit glauben, daß ich gerad heute früh, Sonntag den 26. August, Ihren lieben Brief empfange, eben da ich mich eingeschlossen hatte, um versäumte Pflichten nachzuholen und mich bey Ihnen um Ihre näheren Zustände zu erkundigen. Das Schreiben vom 9. Juli hab ich nicht erhalten, auch den englischen Mahler nicht gesehen, mich aber über alles beruhigt, was Sie unternehmen und was Ihnen begegnen könnte, da ich Ihre Handelsweise kenne, obschon das Unternehmen einer solchen Umsiedelung bedenklich genug war.

Mir in meiner Einsiedeley macht der gegenwärtige Münchner Zustand wirklich bange, doch werden Sie auf diesem Elemente sich zu bewegen daraus die erwünschten Vortheile ziehen und in das Ganze wirken. Ich freue mich zum voraus auf gute Nachrichten von Zeit zu Zeit.

[52] So weit gelangt ich vor meinem Geburtstag, wo sich werthe Freunde, wie mir wohl bekannt war, zu einem anmuthigen Fest herkömmlich bereiteten; aber es sollte mir eine Überraschung werden, die mich beynahe aus der Fassung gebracht hätte und doch immer eine Empfindung zurückließ, als wäre man einem solchen Ereigniß nicht gewachsen.

Des Königs von Bayern Majestät kamen den 27. August in der Nacht an, erklärten am folgenden Morgen, daß Sie ausdrücklich um dieses Tages willen hergekommen seyen, beehrten mich, als ich grad' im Kreise meiner Werthen und Lieben mich befand, mit Ihro höchster Gegenwart, übergaben mir das Großkreuz des Verdienstordens der Bayerischen Krone und erwiesen sich überhaupt so vollständig theilnehmend, bekannt mit meinem bisherigen Wesen, Thun und Streben, daß ich es nicht dankbar genug bewundern und verehren konnte. Ihro Majestät gedachten meines Aufenthaltes zu Rom mit vertraulicher Annäherung, woran man denn freylich den daselbst eingebürgerten fürstlichen Kunstfreund ohne weiteres zu erkennen hatte. Was sonst noch zu sagen wäre, würde mehrere Seiten ausfüllen.

Die Gegenwart meines gnädigsten Herrn des Großherzogs gab einem so unerwarteten Zustand die gründlichste Vollendung, und jetzt, da die Erscheinung vorüber geflohen ist, habe ich mich wirklich erst zu erinnern, was und wie das alles vorgegangen und wie man eine solche Prüfung gehöriger hätte bestehen sollen. Was man aber nicht zweymal erleben kann, muß wohl so gut als möglich aus dem Stegreif durchgelebt werden. Die überbliebenen schönsten Gefühle und bedeutendsten Zeugnisse geben auf alle Fälle die Versicherung daß es kein Traum gewesen.

Hiermit aber sey für heut geschlossen; sagen Sie mir bald ein freundliches Wort; sobald ich zu einiger Besinnung komme, gebe ich Ihnen eine Art Recapitulation meines bisherigen Lebens, da sich denn auch die nähere Ursache meines bisherigen Schweigens entwickeln wird.

treu anhänglich

W. d. 6. Sept. 1827.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7671-9