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An Friedrich Schiller

So leid es mir thut zu hören daß Sie noch nicht ganz zur Thätigkeit hergestellt sind, ist es mir doch angenehm daß mein Brief und Aufsatz Sie einigermaßen beschäftigt hat. Ich danke für den Ihrigen, der eine Sache noch weiter führt, an der uns so viel gelegen seyn muß. Leider werden wir Neuern wohl auch gelegentlich als Dichter geboren und wir plagen uns in der ganzen Gattung herum ohne recht zu wissen woran wir eigentlich sind, denn die specifischen Bestimmungen sollten, wenn ich nicht irre, eigentlich von außen kommen und die Gelegenheit das Talent determiniren. Warum machen wir so selten ein Epigramm im griechischen Sinn? weil wir so wenig Dinge sehen die eins verdienen. Warum gelingt uns das Epische so selten? weil wir keine Zuhörer haben. Und warum ist das Streben nach theatralischen Arbeiten so groß? weil bey uns das Drama die einzig sinnlich reizende Dichtart ist, von deren Ausübung man einen gewissen gegenwärtigen Genuß hoffen kann.

Ich habe diese Tage fortgefahren die Ilias zu [386] studiren, um zu überlegen, ob zwischen ihr und der Odyssee nicht noch eine Epopée inne liege. Ich finde aber nur eigentlich tragische Stoffe, es sey nun daß es wirklich so ist, oder daß ich nur den epischen nicht finden kann.

Das Lebensende des Achills mit seinen Umgebungen ließe eine epische Behandlung zu und forderte sie gewissermaßen, wegen der Breite des zu bearbeitenden Stoffs. Nun würde die Frage entstehen: ob man wohl thue einen tragischen Stoff allenfalls episch zu behandeln? Es läßt sich allerley dafür und dagegen sagen. Was den Effect betrifft, so würde ein Neuer der für Neue arbeitet immer dabey in Vortheil seyn, weil man ohne pathologisches Interesse wohl schwerlich sich den Beyfall der Zeit erwerben wird.

So viel für diesmal. Meyer arbeitet fleißig an seiner Abhandlung über die zur bildenden Kunst geeigneten Gegenstände, es kommt dabey alles zur Sprache was auch uns interessirt und es zeigt sich, wie nah der bildende Künstler mit dem Dramatiker verwandt ist. Möchten Sie sich doch recht bald erholen und ich zur Freyheit gelangen Sie nächstens besuchen zu können.

Weimar am 27. Dec. 1797.

G. [387]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-76A4-8