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An Charlotte von Stein

d. 24. Nov. 86.

Ich muß heute meiner Liebsten schreiben, morgen ist Posttag, den ich nicht versäumen darf; so erhält sie doch von acht Tagen zu acht Tagen etwas von mir. Du wirst doch auch nun fleisig schreiben daß ich eine Reihe von Briefen erhalte. Bald muß nun der erste von dir ankommen. Ich lege ein ostensibles Blat bey, das einen guten Tag beschreibt, man kann aber wenig sagen. Gut ist es und noth, hier wenn man kommt ein Pythagoräisches Stillschweigen zu halten. Jahre lang könnt ich hier seyn ohne viel zu reden. Es ist alles schon so durch beschrieben, so durch dissertirt, daß man nur erst die Augen aufthun, erst lernen muß. Du kennst meine alte Manier wie ich die Natur behandle, so behandl' ich Rom und schon steigt mir's entgegen, ich fahre immer fort zu sehn und von Grund aus zu studiren. Was werd ich dir nicht erzählen können, wenn mir nur der Himmel noch eine Zeit ruhigen Lebens hier gönnen mag.

Ich vermeide sorgfältig alle Bekanntschafft, die nur Zeit verdirbt und sehe und studire unermüdet mit Künstlern und Kennern alles andre acht ich vom Übel.

[66] Den Prinzen Lichtenstein, den Bruder der Gräfinn Harrach habe ich gesehen und bey ihm gegessen.

Wie wohl es mir übrigens bey und mit Tischbein geht, und was das für ein braver Künstler und tüchtiger, ganzer Mensch ist, kann ich dir nicht sagen. Wir passen zusammen als hätten wir zusammen gelebt.

Von der Nation zu sagen bleib ich dir schuldig, es ist ein sonderbar Volck. Was allen Fremden auffällt und was heute wieder die ganze Stadt reden, aber auch nur reden macht, sind die Todtschläge, die ganz was gemeines sind. Viere sind schon seit ich hier bin erschlagen worden von denen ich nur weiß. Heute ward ein braver Künstler, ein Schweizer, Medailleur, der letzte Schüler von Hedlinger überfallen, völlig wie Winckelman. Der Mörder, mit dem er sich herumbalgte, gab ihm wie man sagt an die zwanzig Stiche, und da die Wache hinzukam, erstach sich der Bösewicht selbst. Das ist nun sonst hier die Mode nicht, der Mörder erreicht eine Kirche und so ists gut.

Doch nichts weiter von diesen Scenen, die aber zum Ganzen Bilde der Stadt gehören. Könnt ich dir nur das beste zeigen, was ich sehe, ja nur manchmal das zu genießen geben, was ich in dem Augenblicke nicht genießen kann. So ein Element hab ich mir lange gewünscht, um auch einmal zu schwimmen und nicht immer zu waten.

[67] Grüße Steinen, Fritzen – ob ich Ernsten noch grüßen kann weiß ich nicht – die Schwester und die Schwägerinn. Auch deine Brüder. Ich bin oft bey euch und muß mir oft die Sehnsucht verwehren.

Der Vesuv hat eine Eruption gemacht, vielleicht schrieb ich es schon. Heute hör ich daß sie noch fortdauert und muß mich halten, nicht geschwind aufzubrechen und nach Napel zu gehen. Ich hoffe er wird noch einiges für mich aufheben, wenn mein Stündlein geschlagen hat.

Moritz ist hier, der die englische Reise schrieb, ein sehr guter, braver Mann mit dem wir viel Freude haben. Empfiehl mich dem Herzog und der Herzoginn. Frage doch einmal ob man dem Docktor Riedel geschrieben hat, daß der gute Mann nicht ohne Nachricht und Resolution wegen des Antrags bleibe. Wüßte man nicht wo er ist; so würde der Archivarius und Rath Kestner in Hannover ihm den Brief richtig zustellen. Hätte die Herzoginn eine Summe, gros oder klein an die Kunst zu verwenden; so getraut ich mir ihr etwas mitzubringen das ihr bleibende Freude machen sollte. Ich selbst begehre nichts von allem was ich sehe, außer die Gypssachen die unendlich schön sind.

Leb wohl. Liebe den bleibenden.

Laß doch ein Ringchen machen nur von Messing das dir akkurat paßt und sage Herders daß sie es auch thun und schickt mir sie einmal mit sonst einem [68] Packetchen. Wenn ich etwas gutes von geschnittnen Steinen finde laß ich sie euch gleich faßen. Ein artigs das ich besitze druck ich hier bey.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1786 [2]. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-76A5-6