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An Friedrich Heinrich Jacobi

Ich habe von dir, mein lieber Freund, diese Zeit her so mancherley Gutes erhalten, daß ich dir schon [4] lange dafür hätte danken sollen. Seit ein paar Monaten aber ist meine Communication nach aussen ganz unterbrochen. Ich habe mich in allerley Arbeiten versenkt, viel mit gegenwärtigen Freunden und durchreisenden Fremden gelebt; besonders hat Werner, der Sohn des Thals, den du ja auch kennst, uns durch sein Wesen, so wie durch seine Werke unterhalten und aufgeregt. Es kommt mir, einem alten Heiden, ganz wunderlich vor, das Kreuz auf meinem eignen Grund und Boden aufgepflanzt zu sehen, und Christi Blut und Wunden poetisch predigen zu hören, ohne das es mir gerade zuwider ist. Wir sind dieses doch dem höheren Standpunct schuldig, auf den uns die Philosophie gehoben hat. Wir haben das Ideelle schätzen gelernt, es mag sich auch in den wunderlichsten Formen darstellen.

An Gästen hat es uns nicht gefehlt. Savigny's und zwey Brentano's waren eine Zeitlang bey uns. Ich habe mir viel von dir und deinen Umgebungen erzählen lassen. Schellings Rede hat mir viel Freude gemacht. Sie schwebt in der Region in der wir auch gern verweilen. Für alles Übrige gleichfalls den besten Dank. Laß mich von Zeit zu Zeit etwas sehen und erfahren.

In München befindet sich ein Maler, Klotz genannt, der sich mit der Farbenlehre viel Mühe gegeben hat. Schon 1797 wurde ich durch einen Aufsatz von ihm im Archiv der Zeit aufmerksam. Nun [5] hat er 1806 eine Meldung von seinen Erfindungen und Ansichten einzeln drucken lassen. Auch hat er mir auf meinen Wunsch manches über seine Vorstellungen und seinen Apparat geschrieben. Es geht ihm wie mehreren Künstlern in diesem Fache: Man kann sagen er ist in der rechten Gegend aber nicht auf dem rechten Wege. Zu Entwicklung der Räthsel, die ihm noch übrig bleiben, soll hoff' ich meine Farbenlehre dienen, und ich werde im historischen Theil seiner in allem Guten gedenken. Möchtest du wohl Bekanntschaft mit ihm machen, dir seine Ansichten vortragen lassen und dich durch Beförderung seines gutmüthigen und eifrigen Strebens als einen wahrhaften Academischen Präsidenten bezeigen. Ich will nicht sagen, daß du eben völlige Satisfaction durch ihn erlangen werdest. Ein Practiker, der sich zu theoretisiren genöthigt fühlt, ohne vorgängige theoretische Bildung, gebärdet sich immer seltsam, und wenn man seinen Ernst und seine Treue nicht zu schätzen weiß, so muß er einem oft lächerlich vorkommen.

Lichtenbergs Brief liegt hier bey. Er war unter meine Autographa gerathen. Den Brief an deinen Bruder find' ich wohl auch und dann soll er gleich abgehen. Mit dem Satyros hast du mir viel Freude gemacht. Dieses Document der göttlichen Frechheit unserer Jugendjahre hielt ich für ganz verloren. Ich wollte es einmal aus dem Gedächtniß wieder herstellen; aber ich brachte es nicht mehr zusammen.

[6] Nach Carlsbad gehe ich wahrscheinlich, sobald es die Witterung erlaubt, da es mir vorm Jahr so große Dienste gethan hat. Ich befinde mich diesen Winter besser, als seit langer Zeit. Ob ich dort wieder nach meiner Art kleben bleibe, oder mich weiter nach Osten und Süden bewege, wird sich ausweisen. Daß ich dich besuchen und in deiner Nähe der alten Pempelforter Zeiten gedenken möchte, kannst du dir leicht vorstellen.

Für heute nichts weiter als viele Grüße an die Deinigen.

Weimar den 11. Januar 1808.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1808. An Friedrich Heinrich Jacobi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-76BB-5