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An Johann Gottfried Herder

Rom d. 29. [und 30.] Dec. 86.

Endlich kann ich dir mit Freuden melden daß meine Iphigenie fertig ist, daß zwey Abschriften davon auf meinem Tische liegen. Wenige Verse möcht ich noch verbessern und dazu will ich sie noch eine Woche behalten, dann übergeb ich sie dir mit völliger Macht und Gewalt darin nach Belieben zu korrigiren.

Ich hab Zeither eine Pause im Sehen gemacht um das Gesehne würcken zu lassen. Nun fang ich wieder an und es geht trefflich. Das gesteh ich aber auch daß ich mich aller alten Ideen, alles eignen Willens entäussere um recht wiedergebohren und neu gebildet zu werden.

Die Fähigkeit ähnliche Verhältniße zu entdecken, wenn sie auch noch soweit auseinander liegen, und die Genesen der Dinge aufzuspüren hilft mir auch hier auserordentlich, und wenn ich Zeit hätte alle Kunstwercke mir recht zu vergegenwärtigen und sie alsdann miteinander zu vergleichen, wollte ich ohne große Gelehrsamkeit der Geschichte der Kunst manchen Vorteil bringen.

Man denckt und spricht hier weiter nichts und also kann man bald vorwärts kommen.

Wieviel Versuche man übrigens macht mich aus meiner Dunckelheit hervorzuziehen, wie die Poeten mir [108] schon ihre Sachen vorlesen oder vorlesen laßen, wie es nur von mir abhinge eine Rolle zu spielen, da ich nun klüglich erst abgepaßt habe wo es in Rom hinaus will, das alles erzähl ich euch einmal und es wird euch unterhalten.

Aber es ist hier wie allenthalben und alles was hier geschehen könnte ennüyirt mich schon voraus. Man muß sich zu Einer Partey schlagen, ihre Leidenschaften und Kabalen mit verfechten helfen, die Künstler und Dilettanten loben, den Grosen schmeichlen. Und das sollte ich hier? da ich's zu Hause nicht mag, und ohne Zweck?

Nein! ich gehe nicht tiefer als nur um das auch zu kennen und dann mit Euch hinter der Kirche vergnügt zu seyn und Euch und mir die Lust in die weitere Welt zu benehmen.

Ich will Rom sehn, das bestehende, nicht das mit jedem Jahrzehend vorübergehende. Hätte ich Zeit ich wollte sie zu was anders anwenden. Besonders ließt sich Geschichte von hier aus ganz anders, als in einem jeden andern Orte der Welt. Man meynt man sähe alles, alles reiht sich.

Tischbeinen kann ich nicht genug loben, wie original er sich aus sich selbst heraus gebildet hat. Er wird euch recht aus Herzens Grund freuen wenn ihr ihn dereinst sehen werdet.

Er hat gar freundschafftlich für mich auch in Kunstsachen gesorgt und mir eine Reihe Studien nach den [109] besten Meistern gezeichnet und zeichnen laßen die in Teutschland für mich einen großen Werth haben, und mein Zimmerlein zu einem Schatzkästgen machen werden.

Nun ist mir du lieber alter Freund Baukunst und Bildhauerkunst und Mahlerey wie Mineralogie Botanick und Zoologie. Auch hab ich die Künste nun recht gepackt, ich laße sie nun nicht fahren und weis doch gewiß daß ich nach keinem Phantom hasche.

Nun hoff ich denn auch wieder von Euch zu hören. Den zweyten Theil der zerstreuten Blätter hatt ich mit hierhergebracht, er hat viel Freude verschafft. Wie siehts mit dem dritten Theile der Ideen?

Seit einigen Tagen haben wir wieder das klarste, wärmste Wetter, ich hoffe schöne Zeit in Neapel. Eh ich gehe schreib ich noch. Die Christnacht haben wir geschwärmt und die Kirchen besucht wo Funcktionen waren.

Am ersten Festtage sah ich den Papst mit der ganzen Clerisey in der Peterskirche, da er vom Trohne herab das hohe Amt hielt. Es ist ein einziges Schauspiel in seiner Art, ich bin aber doch im Diogenismus zu alt geworden, daß es mir von irgend einer Seite hätte imponiren können.

Nun gehn die nächste Woche die 7 Theater auf. Anfossi ist selbst hier und giebt Alessandro nel Indie, auch wird ein Cyrus gegeben und die Belagrung von Troja als Ballet. Das wäre was für die Kinder. Grüßt sie und liebt mich –

G.


[110] d. 30. Dec. da dieser Brief abgehn soll, erhalt ich den eurigen. Tausend Danck. schreibt mir ja bald wieder. Über den Inhalt nächstens. Grüßt die Kinder und fahrt fort mich zu lieben.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1786 [2]. An Johann Gottfried Herder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-76D7-5