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An Carl Friedrich Zelter

Dank für deine beiden gehaltvollen Briefe. Der Bewohner einer großen Stadt ist doch immer zu beneiden, weil ihm vor Aug und Ohr kommt wovon wir Kleinstädter nie einen Begriff erhalten. Deine Tänzer hast du meisterhaft geschildert.

[349] Durch die guten Worte, womit du Iphigenien so treulich ehrest, sey mir gleichfalls gelobt und gepriesen. Die wundersame Entstehung der zweyten Redaction schildert die Italiänische Reise. Iphigenie auf Delphi wird wohl ungeschrieben bleiben. Es ist eine Notiz da, daß die alten Tragiker diesen Gegenstand behandelt haben, der mich nothwendig reizen mußte weil ich in das Atreuische Haus mich so eingesiedelt hatte. Eine cyklische Behandlung hat viele Vortheile, nur daß wir Neuern uns nicht recht darein zu finden wissen. Ferner sollst du gelobt seyn wegen der erfreulichen Schilderung des jungen Teichmanns, dessen Wesen und Naturell mir gar wohl gefällt. Er hat mir auch recht verständig geschrieben und geschickt was ich begehrte; auch schreibt er eine allerliebste Hand.

Nur ist seit der Zeit als ich das erstemal dir schrieb eine unerwartete und also seltsame Veränderung bey unserm Theater vorgegangen, welche durch die eilende Fama besonders bey jetzo gut eingerichteten Posten, eilig genug zu euch gekommen seyn wird. Ich habe die Sache wieder auf den Schultern, wie vor soviel Jahren, fange wieder an wie damals. Den Mahomet hab ich schon wieder auf die Bühne gebracht, als Exercitium der ersten grammatikalischen Übungen. Die Sache steht wunderlich genug, für mich so günstig als möglich. Im eigentlich Artistischen, Technischen, Oekonomischen kann man sich keine Einrichtung besser wünschen, nur erregte zuletzt eine geistlose Behandlung [350] allgemeinen Unwillen daß endlich eine Explosion folgen mußte. Ich erwartete sie um auch aus der Sache zu scheiden. Anstatt dessen fühlt ich mich verpflichtet zur Erhaltung des morschen Gebäudes beyzutragen. Dieß wird mir möglich und leicht weil mein Sohn mit zur Intendanz gesetzt worden, und ich eine unumschränkte Gewalt im Kunstfach ausübe, ohne durch Nebendinge gehudelt zu werden. In kurzer Zeit soll alles ein anderes Ansehn haben, und wenn ich bis Johannis fortfahre zu handeln wie diese drey Wochen, so kann ich in die weite Welt gehen und es soll dieser Anstalt besser geholfen seyn als durch Solons Gesetze und Abschied den Atheniensern.

Aber eben gerade jetzt muß ich mich auf unser Personal einschränken und zeigen was man damit thun kann, und darf durch Erscheinung eines Fremden keine Apprehension geben, wie ich vor ein paar Monaten mit größter Gleichgültigkeit gethan hätte. Sage dem jungen Mann darüber ein freundlich Wort und ohngefähr soviel als er zu wissen braucht.

So den leeren Raum zu benutzen will ich dir vertrauen daß ich mich seit vollen vierzehn Tagen, Tag und Nacht, wenn das Letztere viel bey mir sagen will, mit einer Arbeit beschäftige die du mir nicht zutraust. Ich redigire nämlich Kotzebues Schutzgeist. Sie hatten ungeschicktester Weise das Stück zur Großherzogin Geburtstag in Extenso gegeben, es dauerte bis halb Eilf, Hof und Stadt protestirten gegen seine [351] Wiedererscheinung. Weil aber die darin zusammen gestoppelten Motive doch manches Interessante haben, gerade wie es die Leute wünschen, so fuhr ich herein und machte den Schutzgeist des Schutzgeistes. Er bleibt mit auf dem Repertorium und schon dadurch ist meine Mühe reichlich belohnt.

Lebe wohl und schreibe bald.

Weimar d. 23. Februar 1817.

Der Deine G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-76E6-1