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An Josephine O'Donell

Hier bin ich nun, verehrte Freundinn, wo Sie mich wissen wollten; in dem Kreise, dem ich mich [165] seit so vielen Jahren gewidmet habe. Ich wäre sehr undankbar, wenn ich nicht zufrieden seyn, und sehr unruhig, wenn ich mich wo anders hinsehnen wollte; doch erlaube ich mir oft, in Gedanken zwischen dem goldenen Schiffe und dem Herrnhause hin und her zu wandeln; so wie zwischen Töplitz, Culm und manchen andern schönen Gebirgsgegenden. – Ich befinde mich so wohl als ich's verlangen kann, habe seit jener zeit an keinem entschiedenen Übel gelitten und schicke mich, wie billig, in das, was die Jahre nicht mehr bringen sondern nehmen. Ich sage das, um Ihre freundliche Theilnahme zu erwidern, und wünsche nun auch zu vernehmen, daß Sie Sich wohl befinden; möchten Sie bald Lust und Freyheit haben, mir es zu sagen und mir dabey zugleich versichern, daß unsere allerverehrtste Frau und Herrin Sich im vollkommensten Wohlseyn befinde: denn, ich will gern gestehn, ich kann's immer noch nicht verwinden, daß ich Sie zuletzt leidend gesehen habe. Die Empfänglichkeit für sinnliche Eindrücke, der ich so viel Gutes verdanke, zieht mir dieses Übel zu, das ich mit einem schmerzlichen Vergnügen ertrage, weil ich mich ebenso deutlich erinnre, wie herrlich Sie in diesen Augenblicken erschien.

Da Sie nun aber allerley Wunderliches von mir gesund sind, so muß ich Ihnen erzählen und vertrauen, daß ich mir seit einiger Zeit, obgleich ungern und mit Mühe, von unserer Angebetenen zu sprechen [166] abgewöhnt habe: denn die bravsten und sonst für's Vortreffliche empfänglichen Menschen enthielten sich nicht mir zu versichern, ich rede enthusiastisch, wenn ich nichts als die reine Prosa zu sprechen glaubte. Es kann zwar seyn, daß wie jener Prosa machte ohne es zu wissen, ich unbewußt poetisch rede. Wäre ich aber auch ein anerkannter Nachtwandler, so will ich doch nicht aufgeweckt seyn und halte mich daher fern von den Menschen, wenn sie das Gemeine sehen.

Nach dieser Klage muß ich mit der Entschuldigung einer andern wunderlichen Idiosyncrasie hervortreten, die sie schon vor Augen haben, daß ich mich nämlich zu dem Gegenwärtigen einer fremden Hand bediene. Alle meine Freunde haben mich verwöhnt, so daß aus einem Mangel eine Gewohnheit eine Untugend geworden ist Ich bin niemals zerstreuter als wenn ich mit eigner Hand schreibe: denn weil die Feder nicht so geschwind läuft als ich denke, so schreibe ich oft den Schlußbuchstaben des folgenden Worts ehe das erste noch zu Ende ist, und mitten in einem Comma, fange ich den folgenden Perioden an; Ein Wort schreibe ich mit dreyerley Orthographie, und was die Unarten alle seyn mögen, deren ich mich recht wohl bewußt bin und gegen die ich auch nur im äußeren Nothfall zu kämpfen mich unterwinde, nicht zu gedenken, daß äußere Störung mich gleich verwirren und meine Hand wohl dreymal [167] in Einem Brief abwechseln kann. So ist mir's mit Vorstehendem gegangen, das ich zweymal zu schreiben anfing, absetzte und schlecht fortsetzte; jetzt entschließ ich mich zu dictiren, es ist als wenn ich mit Ihnen spräche und die Erinnerung Ihrer Persönlichkeit, Ihrer Gestalt, Ihres freundlichen Wesens giebt mir keine Zerstreuung, weil Sie es ja sind zu der ich mich wende, indem ich dieß ausspreche.

Gilt dieses klägliche Bekenntniß, diese unschuldige Entschuldigung vor Ihrem freundschaftlichen Herzen, so wird die Pause zwischen meinen Briefen künftig nicht so lang seyn, alsdenn erleide ich keine Störung von der im Garten dejeunirenden Freundinn, noch von der anständigen ernsten Dame, welche mir Documente zurückfordert, noch von der pfirsichblüthfarbenen Soubrette; allen, denk' ich alsdenn, habe ich etwas zu sagen, das sie nicht verdrießen wird und woraus denn doch auch kein Geheimniß zu machen wäre.

Sollte ich nun weiter fortfahren und von meinem nächsten Leben etwas erzählen, so wüßte ich es nicht recht anzufangen: denn da Ihnen weder die Localitäten meiner Lebensbühnen, noch die Personen des Drama's, in welchen ich den maitre Jaques zu spielen die Ehre habe, bekannt sind, so gebe es keine eigentliche lebhafte Darstellung, und das Allgemeine, die Resultate sind von keinem großen Belang. Acht Wochen war ich in Weimar und drey bin ich nun hier; morgen erwarte ich den Herzog den eine Jagdpartie [168] über den Schnee in diesen Musensitz führt. Er war bereit, in jenes Album ein freundliches Wort einzuschreiben, welches freylich gleich ein Hoffnungswort, ein Wort des Wunsches werden mußte, daß man in jenem Arcadien nächsten Sommer die goldenen Tage wiederholen möchte.

Der akademischen Ruhe bin ich nunmehr doppelt hold, weil ohne sie dieser Brief kaum zu Stande gekommen wäre. So wird das Natürliche oft das Schwerste und das womit man sich immer beschäftigt wird selten fertig.

Möchten Sie in vorstehenden fremden Zügen die eigensten Gesinnungen eines wahrhaft ergebenen Freundes erkennen!

Jena d. 24. Nov. 1812.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Josephine O'Donell. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7723-F