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An den Herzog Carl August

[Concept.]

[Carlsbad, 13. Mai 1812.]

Den ersten Tag kämpften die Nebel mit der Sonne; im Orlathale war es stickend heiß, in Pobelwitz, wo gefüttert wurde, ging ein allgemeiner Landregen dreyviertel Stunden gewaltig nieder. Abends und den anderen Morgen sich aufhellender Himmel, ein Streifregen und sodann trockene Witterung bis heute den [9] 10. May. Laue Luft bey bedecktem Himmel, bey heiterem die Gewalt der brennenden Sonne durch Ostwind gemäßigt. Hier alle Bäume, die Acazien ausgenommen, knospend und mehr oder weniger grünend, so daß alles bereit stehend auf den ersten Regen entwickelt zu werden. Die Stadt in vortrefflichen Stande, die Witterung zum Bestellen und Kartoffellegen höchst günstig, daher die Bergfelder durch Pflügende, Säende, und sonst Arbeitende durchaus belebt.

Mit den Brunnenanstalten sind die Carlsbader noch immer nicht ganz im Klaren; den Sprudel haben sie wieder an zwey Orten zu springen genöthigt, doch nicht durch enge Röhren, sondern weite viereckige Ständer. Der neue Sprudel, in siedender Masse hervorspringend, sah prächtig aus ehe die Kufe aufgesetzt ward, wohin er sich sammeln muß, um die Bächer zu laufen. Da nun die mächtige Quelle zwey Öffnungen hat, um sich zu äußern, und im Nothfalle noch immer den Zapfen gezogen werden kann; so wird wohl eine abermalige Explosion sobald nicht erfolgen. was ienes Unglück für schöne Gelegenheit zu besserm Raum und zu mehrerer Zierdr gegeben, hat man ganz unbeachtet gelassen und durch neue Anstalten sich auf immer den Weg versperrt.

Um Neubrunn kann es besser werden; man arbeitet kühn genug, den Felsen hinter der Quelle weg, damit umher ein Raum entstehe. Der untere Gang soll blos für die heimlichen Gemächer bleiben, welche aufgemauert [10] werden, oben drüben kommt ein doppelter bedeckter Spaziergang, dessen eine Hälfte die gegenwärtige untere Terasse einnehmen wird. Große breite Treppen führen zur Treppe herunter. Es ist ein früherer Plan zu dem ich selbst bey Prochaska's Zeiten contribuirte. Der erste Gedanke war, diese neue Promenade so hoch zu erhöhen, das sie mit dem Mühlbad Saale und mit dem wenig abzutragenden Theresien Platze ins Niveau käme; man hat aber nachher, und mich dünkt mit Recht, eine mittlere Höhe gewählt. Der Bau wird erst im nächsten Jahre vollendet und heuer das Local noch unangenehmer seyn als sonst. Der Schloßbrunnen ist nicht wieder gefunden worden und übrigens alles im Alten.

Einige Russinnen und Pohlinnen sind hier, die sehr stille leben und es sieht dieses Jahr für Carlsbad mißlich aus. Nicht allein waren wenig Bestellungen eingegangen, sondern viele Quartiere sind sogar abgestellt worden. Dies ist ein doppelt großer Schade für die Bürger; erstens, daß sie das Gewöhnliche vermissen und dann, daß sie den Vortheil entbehren, den ihnen der neue Curs über Fremde gäbe.

Es war herauszusehen, daß alle diejenigen Einwohner, welche das Nothwendige zu verkaufen haben, bey den alten Nennwerthe ohne Rücksicht auf den neuen Curs mehr oder weniger verharren würden; so ist es auch! Dem Fremden kommt alles aufs Doppelte, manches weit drüber zu stehen. Hingegen ist [11] freylich die Contralection, daß man das Geld mehr schätzt, daß man sich einschränkt und am Ende noch wohlfeiler lebt als vor dem Jahre, wo man den doch in den allgemeinen Unsinn der Bankzeddel Verachtung hingerissen wurde; ferner gewöhnt man sich wie ein Einheimischer zu leben und sucht auf alle Weise den Kleinhändlern aus den Händen zu kommen, wie ich denn auch nach Prag um Weine geschrieben habe.

Da nun aber nach eingeführten Einlösungsscheinen durch die alten Bankzeddel von 1 und 2 Gulden noch bis in den October gelten, indem sonst gar nicht aus einander kommen könnte, so entsteht eine wunderliche Berechnungsart im gemeinen Leben. Der gegenwärtige Curs der Einlösungsscheine ist circa 240 gegen 100, multiplicirt man jene Summe mit 5, so hat man den mittleren Stand des vorigen Jahrs 1200. Nun handelt man nach dem alten Curse, dividirt die Summe mit 5 und verwandelt diese nach dem Ansatze 240 = 100 , so daß die Einlösungsscheine nur als eine vermittelnde Norm gelten. Z.B.

Der Strich Hafer.

Bankoz.Einlösungssch.Silber
60 fl.12.5 fl. Sächs.

Bedenkt man nun, daß vor dem Jahre bey gleichem Stande der Banknoten der Strich Hafer 17 fl. und also circa 1 1/2 fl. Sächs. kostete, so fällt die Differenz freylich in die Augen.

[12] Ein sehr herrliches Werk bleibt immer die neue Prager Straße. Sie ist mir statt aller andern Spaziergänge, besonders an bedeckten Tagen, doch gewährt sie bey- und nach Sonnenuntergang so herrliche Anblicke, daß man gern etwas Hitze erträgt, um den Abend abzuwarten. Die übrigen Anlagen werden alle gut erhalten.

Von bedeutend Neuem wüßte ich aus dieser Einsamkeit nichts zu melden, als daß der Großherzog von Würzburg seine Schlösser in Böhmen zum Sommeraufenthalt hat einrichten lassen und schon Anfangs May hier durchgehen wollte.

Das Stärkezucker Evangelium habe ich mit Kraft gepredigt, und schon sind die Töpfer beschäftiget große glasirte Häfen zu drehen, damit auf die einfachste Art diese Operation versucht werde. Die Carlsbader können sich hierbey vor anderen selig preisen, indem sie die stärkereichen Viehkartoffeln in Übermaß bauen, jede Familie sich ihren Kartoffelmehl Bedarf ohnehin jährlich selbst verfertigt und eine halbe Stunde von hier das Vitriolöl distillirt wird, und also aus der ersten Hand zu beziehen ist, so daß es blos auf die Gewohnheit der Einwohner ankommt, um den Zucker beynahe umsonst zu haben. C. B. 10. May 1812.

Seitdem Vorstehendes geschrieben war hat sich das Wetter erwiesen, mit Sonnenschein, bedecktem Himmel und genugsamen Regen. Das Grüne [13] tritt immer mehr hervor und die wenigen Obstbäume fangen an zu blühen. Dagegen macht der steigende Werth der Einlösungsscheine (Wien 100 = 175. Prag 100 = 185) Einheimischen und Fremden zu schaffen. Jene können freylich kaum bedenken wie sehr dieses Phänomen dem Staate zu Gute kommt, indem für jeden Einzelnen die Theurung höchst drückend wird. Der Fremde kann immer zufrieden seyn wenn er wohlfeiler lebt als zu Hause, aber dem Einwohner schmilzt Gold und Papier in der Tasche. Der Handel mit dem Auslande stockt und selbst der innere Verkehr, indessen da die Staatsoperation wirklich auf den Grad gelungen ist, so mögen die Einzelnen denn nach und nach aus dem Schlaraffentraum, in dem sie bisher so hingedusselt, sich durch wiederholte Stöße aufschütteln lassen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7743-9