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An Carl Ludwig von Knebel

Hierbey, mein Theurer, Verehrter, das Heft Morphologie pp., was du verlangst; im Verschicken bin ich immer etwas scheu und wünschte, daß dergleichen den werthen Freunden zur besten Stunde zufällig in die Hände käme. Tausend Lebensmomente sind in einem solchen Hefte fixirt; wie sollen sie sich gerade loslösen und dem Leser glücklich begegnen, der die Blätter aufschlägt; auch hab ich gebunden, daß sie erst Jahre hinterdrein empfunden und genossen werden; wie mir es ja auch geht mit so vielem Guten, was geheftet und gebunden sich vor meinen Augen aufgelagert hat.

Den Zudrang von manchem wahrhaft Würdigen in mehreren Fächern mußte ich ohnehin entschieden gleichgültig ablehnen, da seit meiner Rückkehr Besuche von ältern Freunden mich wahrhaft auferbauen.

[247] Staatsrath Schultz und Graf Reinhard, aus zwey entgegengesetzten Welten sich hier begegnend, haben gar manches Höchstbedeutende überliefert und aufgeregt. Eine Fluth von Fremden, worunter englische Wellen sich besonders auszeichnen, erhält uns jeden Augenblick wach.

Nun aber zuletzt tritt Madame Szymanovska herein, mit freundlichster Liebenswürdigkeit und dem größten Talent; auf dem Pianoforte ist sie zu Hause und macht daselbst die allerliebste Wirthin.

Ich hatte 14 Tage mit ihr in Marienbad verlebt, wenige in Carlsbad. Nun ist sie schon fünf Tage hier, ergötzt, wer Ohren und sonst einen Sinn hat in unserm Bezirk, wo glücklicherweise ein gutes Instrument steht. Heute spielt sie bey der Frau Erbgroßherzogin, und es ist noch ungewiß, ob sie ein öffentliches Concert geben wird.

Da bin ich nun wieder in den Strudel der Töne hingerissen, die mir, modern gereiht, nicht immer zusagen, mich aber doch dießmal durch soviel Gewandtheit und Schönheit gewinnen und festhalten, durch Vermittelung eines Wesens, das Genüsse, die man immer ahndet und immer entbehrt, zu verwirklichen geschaffen ist.

Hiernach, mein Bester, wäre wohl nicht viel zu denken, noch zu sagen; ich schließe sehr vergnügt, obgleich in völliger Ungewißheit des weiteren Erfolgs. Sollte die Nachricht eines von hier angekündigten [248] Concerts zu euch hinüber kommen, so sende alle mobile Menschen herüber, schicke Wellern auf alle Fälle.

Eilig und treulich abschließend

Weimar den 29. October 1823.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7757-E