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An Carl Friedrich Zelter

Tausend Dank, mein lieber Freund, für die Anregung, die Sie gegeben haben, daß mir jener Stier zugesendet worden. Er hat bey mir und in einem Kreise die Kunstbetrachtung in diesen Tagen belebt, und ich wünschte nur sie mit Ihnen recapituliren zu können. Wenn Herr Friedländer Ihnen mittheilt, was ich ihm schrieb, werden Sie sehen, daß mein erstes Gewahrwerden, indem ich dieses Kunstgeschöpf einen Tragelaphen des alten und neuen hieß, sich auch in der Folge bestätigt hat. Ich hätte noch viel weitläufiger seyn müssen, wenn ich hätte wollen auf den Grund gehen, und alles sagen, was bey dieser Gelegenheit sich zur Betrachtung aufdringt. Ein Kästchen mit interessanten Broncemedaillen ist an Herrn Friedländer abgegangen und da dessen Sohn Sammler und Kenner ist, so hoffe ich eine gute Aufnahme.

Daß Herr Weiß gegen meine Farbenlehre wüthet, thut mir sehr leid für ihn: ein ohnmächtiger Haß ist die schreckliche Empfindung; denn eigentlich sollte Niemand hassen, als den man vernichten könnte. Weil ich aber in allen Dingen die genetischen Betrachtungen liebe, so will ich Ihnen einen Aufschluß geben, woher dieses guten Mannes Unwille denn eigentlich entsprungen ist. Siehe Farbenlehre. I. Polem. § 422. Die Stelle wird der Bequemlichkeit wegen [66] sogleich hier eingerückt: »Wir anticipiren hier eine Bemerkung, die eigentlich in die Geschichte der Farbenlehre gehört. Hauy, in seinem Handbuch der Physik, wiederholt obige Behauptung mit Newtons entschiedenen Worten; allein der deutsche Übersetzer ist genöthigt in einer Note anzufügen: »ich werde unten Gelegenheit nehmen zu sagen, von welchen Lichtarten des Farbenspectrums, meinen eignen Versuchen zufolge, dieß eigentlich gilt und welchen nicht.« Dasjenige also von dessen absoluter Behauptung ganz allein die Haltbarkeit der Newtonischen Lehre abhinge gilt und gilt nicht. Hauy spricht die Newtonische Lehre unbedingt aus, und so wird sie im Lyceen-Unterricht jedem jungen Franzosen unbedingt in den Kopf geprägt. Der Deutsche muß mit Bedingungen hervortreten, und doch ist jene durch Bedingungen sogleich zerstörte Lehre noch immer die gültige; sie wird gedruckt, übersetzt und das Publicum muß diese Mährchen zum tausendstenmal bezahlen.« Dieser Übersetzer ist nun freylich Herr Weiß selbst, den ich an jener Stelle nicht gerade genannt habe, weil ich ihn als einen Mann, der sich bemühte und gute Hoffnung gab, zu schätzen, ja seine Arbeiten für mich zu benutzen wußte. Es thut mir, wie gesagt, leid für ihn: denn wenn Einer, der sich der Naturforschung ergiebt, und noch nicht abgelebt ist, dasjenige nicht anerkennen will, was ich in meiner Farbenlehre, mehr oder weniger, [67] geleistet; so wird es ihm noch oft zu Haus und Hof kommen, und er gewinnt moralisch nicht dabey; er steht selbst im Lichte und muß doch zuletzt, was er von mir lernt, zu seinen Zwecken benutzen und die Quelle verläugnen, woher er es genommen hat. Doch dergleichen Tergiversationen und Malversationen kommen in der Geschichte der Wissenschaften so oft vor, daß es einem Wunder gäbe, wenn sie sich nicht auch zu unsern Zeiten repetirten.

Möge Ihnen Ihr Thun und Schreiben auf jede Weise gelingen! Wie es Ihnen bey der Singakademie ergeht, sey ich im Bilde. Erziehe man sich nur eine Anzahl Schüler, so erzieht man sich fast ebensoviel Widersacher. Jeder ächte Künstler ist als einer anzusehen, der ein anerkanntes Heilige bewahren und mit Ernst und Bedacht fortpflanzen will. Jedes Jahrhundert aber strebt nach seiner Art ins Seculum, und sucht das Heilige gemein, das Schwere leicht, und das Ernste lustig zu machen; wogegen gar nichts zu sagen wäre, wenn nur nicht darüber Ernst und Spaß zu Grunde gingen. Soviel für dießmal. Lassen Sie mich oft von sich hören, ob wir Sie gleich oft genug hören. Johanna Sebus wird bey unsern musicalischen Sonntagsversammlungen oft genug wiedergefordert und geht charmant; ich könnte hoffen, daß sie zufrieden seyn würden. Mit Instrumenten haben wir es noch nicht aufgeführt. Eberwein hält sich recht brav; ich wünschte ihm wohl wieder ein Halbjahr [68] das Glück Ihres Umgangs und Unterrichts. Unser Capellmeister Müller hält sein Orchester, sein Chor, sowie die Solosänger recht gut zusammen, und wir sind wirklich an musicalischen Genüssen diesen Winter wohlhäbig gewesen. Und somit leben sie von Herzen wohl. Ich bin mit allerley Dingen beschäftigt und mache mich im Stillen so sachte los, daß ich wieder meine Sommerreise bald antreten kann.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1811. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-776D-D