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An August von Goethe

Fortgesetztes Tagebuch,

Carlsbad.


Sonntag den 5. September.

Zu Hause getrunken. Geologica durchgedacht. Dichter Nebelmorgen. Zu Findlaters Obelisk. Herrliche Enthüllung der Sonne wie der Gegend. Zum Hirschensprung, Kreuz und Lufthäuschen. Herab. Besuch von Geh. Rath Berrends. Schreiben an Serenissimum.

Nach Tische Geologica. Um 4 Uhr nach der Egerbrücke, auf der Wiese nach Fischern, Mandelsteine und Basalte geklopft. Granit, sodann zur Kirche hinauf. Sonnenuntergang. Die Chaussee herunter. Spät nach Hause, die Stufen gemustert.


Montag den 6. September.

Heiterster Morgen. Ganz reiner Himmel. Zu Hause getrunken. Schreiben von Willemer, das Frankfurter Fest am 28. vermeldend. Geologica. Spazieren, nach der Kaiserin Platz. Aufsteigende Wolken. Um zwey Uhr nach Rohlau, der Pocellanfabrik, gefahren und dort den alten Bekannten von Dallwitz besucht. Schöne, wohlgelegene Anstalt, doch nicht eigentlich im Flor. Sammlung der Naturkörper und Producte. Nach und nach hatte sich der Himmel [12] drohend überwölkt. Es regnete an allen Gebirgen. Mit mäßigen Schlagregen nach Hause. Ausgepackt und geordnet.


Dienstag den 7. September.

Zu Hause getrunken. Wolkig mit Sonnenblicken. Gestrige Stufen gemustert und numerirt. Zum Platz der Kaiserin und weiter. Mit Herrn Amtmann wegen einer Tour nach Petschau. Carl holte von der alten Prager Straße Granit und einzelne Crystalle. Beyreuther Zeitungsnachricht von dem Frankfurter Fest am 28. August. Chotek'scher Weg. Platz der russischen Kaiserin. Findlaters Tempel und Weg. Gegen 6 Uhr zu Hause. Carl war auf der Kobesmühle gewesen, Basalte und schwere Schlacken zu holen.


Mittwoch den 8. September.

Sendung von Frankfurt, durch österreichische Couriergelegenheit, Diplom als Ehrenmitglied der Gesellschaft älterer deutschen Geschichtskunde. Briefe. Nach Tische nach Schlackenwerth. Erst Chaussee mit Granit gebaut und erhalten. Dann mit pseudovulkanischen Producten. Gelber Porcellanjaspis und stränglicher Eisenstein. Der Abhang nach Schlackenwerth Basalt. Um den Ort gegangen. Fläche bebaut gegen Joachimsthal. Einige Mühlen. Die Eger fließt eine Stunde von da vorbey. Herrschaftlicher Garten, die alten Bäume erhalten, die Wege reinlich, übrigens feuchter Aufenthalt. Den Fußpfad [13] aufwärts, umzugehen die Böse Straße. Auf der Höhe über Lassau, zunächst an der Chaussee der Bruch zur Reparatur der Straße, gelber Porcellanjaspis, eine fußstarke Lage Eisenstein, meist stänglich gebrannt. Nach sieben zu Hause, Mineralien geordnet. Übersicht was sich die Menschen zu ihrem Nutzen davon zugeeignet. Heitester Tag.


Donnerstag den 9. September.

Zu Hause getrunken. Carlsbader erweiterte Sammlung. Geburtstagsbriefe von Hause. Zum Platz der Kaiserin. Bald gesessen. Nach Elbogen. Mit dem Steinhauer gesprochen. In die Porcellanfabrik. Gehülfe des Herrn Mohs zu Freyberg. Mineralogica. Zurück. Abends die Papiere der deutschen geschichtlichen Gesellschaft gelesen.


Freytag den 10. September.

Zu Hause getrunken. Nachricht von der Geburtstagsfeyer zu Mainz. Besuch von Bergrath Herder und dessen Geschwornen. Standrede von Dr. Frisch auf Treba. Zur Kaiserin Platz. Mittag für mich. Stufen umgeräumt und geordnet. Besuch des Porcellanfabrikanten Haidinger von Elbogen und dessen Bruder, attachirt an Bergcommissionsrath Mohs. Schöne Einsicht, freyer Blick, vereinfachtes Studium. Auf die Prager Straße. Heitrer Himmel im Ganzen. [14] Einzeln ruhende gehäufte Wolkenmassen (Cumulus), leichtere sich auflösende. Reiner Sonnenuntergang. Nach Sechse Rückkehr über die Lorenz-Capelle. Abschiedskarte vom Grafen von Bernstorff.


Sonnabend den 11. September.

Vollkommen reiner Himmel. Zu Hause getrunken. Übereinstimmende Gestalt der Basalte vom Horn. Auf eine Grundform zu reduciren. Dictirt. Geschichte des Jenaischen Osteologischen Museums. Bezug auf die Veterinärschule. Bey Herrn Geh. Rath Berends. In die Puppische Allee. Um halb Biere gegen die Egerbrücke. Wundersam wolkiger Himmel, auf blauem Grunde gehäufte Wolken, sich an den zusammentreffenden Enden in lustige Streifen auflösend. Ostwind. Gegen Fischern die Chaussee hinauf, sodann rechts ab zur Kobesmühle und dem Hügel daselbst. Basalte, Quasi-Ätiten, schwere Schlacken. Fortdauernde Wolkenstreifzug von Osten nach Westen. Donner und in den feinen, wie mit Besen hingekehrten, leichten, weißlichen Luftstrecken Regenbogen, der sich auch über den blauen Himmel fortsetzte, zum Zeichen unmerklicher Verdunstung. Nach Sonnenuntergang stiegen von Morgen noch geballte Wolken auf. Halb acht Uhr war ich zu Hause. Der Himmel reine, in Osten Wetterleuchten. Durch frühere Dunststreifen war Jupiter klar zu sehen gewesen.


[15] Sonntag den 12. September.

Zu Hause getrunken. Lucian Bonaparte's Leben. Gebadet. Vollkommen heiterer Himmel. Gegen Mittag im Osten aufsteigende Cumulus, wie gestern. Gegen Abend zur Dorotheenaue und dem Säuerling. Einige Stufen eingebracht. Über die Höhe, den Sälen gegenüber, nach Hause. Meteorologisches dictirt.


Montag den 13. September.

Heiterster Himmel, nur die leichtesten Wölkchen von Norden nach Süden im Zenith hinziehend. Bergrath Herder und [Lücke] von Greifswalde. Gebadet. Gegen Abend den Schloßberg hinauf, zum Schießhause; sodann nach dem thörichten Bergwerksversuch am Fußpfade nach Schlackenwalde. Abends dictirt, Meteorologisches und Gegenwärtiges zur nächsten Expedition nach Weimar.


Dienstag den 14. September.

Heiterster Himmel. Gestriges durchgesehen und durchgedacht. Zu Hause getrunken. Zeitungen. Gebadet. Geh. Rath Berends besuchte mich. Carl handelte Mineralien ein. Schnell gegessen, um 2 Uhr auf Engelhaus. Ich ging unten umher, Carl erstieg den Felsen. Nachher Schriftgranite. Dreyeinigkeits-Capelle. Heiterster Himmel, herrlicher Sonnenuntergang. Die ganze Pragerstraße ausgefahren.


[16] Merkwürdige Zeitungsanzeige.


Am 15. August starb mein geliebter Mann, Gerhard Christoph Schöning, nachdem wir nur vier Wochen in der vergnügtesten Ehe gelebt hatten, an den Folgen der Schwindsucht, nach beynache siebenwöchentlichem Krankenlager, im noch nicht vollendeten dreyßigsten Lebensjahre.

Unvergeßlich pp.

Oldenburg den 15. August 1819.

Vorstehendes, als Frucht meines aufmercksamen Zeitungslesens, empfehle zu ernstlicher Betrachtung.

C. B. d. 15. Sept. als am allerklarsten Sonnentage 1819.

G.


Carlsbad den 16. September 1819.

Vorstehendes war geschrieben, damit es gleich abgehen könnte, wenn ich Nachricht von euch erhielt, wie es denn auch geschehen soll. Deinen Brief vom 12., früh 8 Uhr, erhielt ich den 16. zu gleicher Stunde: wenn du also auf Gegenwärtiges mit umgehender Post einiges erwiderst; so kann es mich noch antreffen, sonst nicht. Das Beyblatt und Sonstiges, was dein Brief vom 3. September als durch die fahrende Post abgegangen ankündigt, ist noch nicht angekommen, wenn du also ein Paquet mit der Rostocker Sendung und sonst erst nach dem 12. auf die fahrende Post gegeben hast; so wird es mich kaum mehr erreichen.[17] Ach habt ihr wegen des Frauenstrumpfs, den ich meiner Sendung vom 6. September beylegte, nichts gemeldet, dieß müßte nun mit mir umgehender Post geschehen. Damit wir bey der Durchreise durch Asch die Commission besorgen können.

Zuvörderst also soll Ottilie den schönsten Dank haben für ihren liebenswürdigen Brief vom 28. und so fort; ich hoffe, wir wollen nächsten Winter anmuthig zusammen seyn und das Weitere guten Geistern überlassen.

Auf Walthern freue ich mich gar sehr, grüße Ulriken zum schönsten und lasse alle übrigen hoch leben.

Daß ihr mit Nicolovius ein gut Verhältniß angeknüpft, welches bey meiner wunderlichen Lebensweise niemals möglich war, ist mir sehr angenehm. Laßt immer nächsten Sommer die Töchter zu euch kommen und bereitet euch dagegen in ein paar Jahren in Berlin wieder eine gute Aufnahme, dieß wird euch in jedem Sinne heilsam und ersprießlich seyn.

Gleichfalls lobe ich eure Ausflucht nach Schwarzburg. Man erfährt erst wie viel Gutes nahe liegt, wenn man sich rasch vom Flecke bewegen kann und mag. Dir gönne ich besonders den Augenblick der beyden Colossalköpfe. Ich wünschte sie selber wieder einmal zu sehen: denn dadurch wird man auf lange Zeit wieder in allem Guten bestärkt.

Aus meinem Tagebuch ersiehst du daß wir uns ziemlich in der Gegend umgethan und viele Steine [18] geklopft haben. Besonders war Stadelmann unersättlich, den er in pseudovulkanischem Bruche in großen Kugeln antraf, zusammenzulesen. Wie denn über ein Viertelscentner nach Hause geschleppt wurde.

Die Sammlung von hundert Stücken habe nun auch schon wieder, und zwar um vieles vermehrt und besser geordnet, aufgelegt. Schöne Egerane bringen wir mit, große Zinngraupen und dergleichen. So viel Unterhaltung und Zufriedenheit giebt ein fortgesetztes Studium, das ein echtes Fundament hat. Halte ja fest an allen was dich in Natur und Kunst immer mehr begründen und auferbauen kann.

Bergrath von Herder nimmt eben Abschied. Nach Trebra's Tode wird er viel Einfluß gewinnen. Er hat das Vertrauen des Königs und verdient es auch. Er hat sich mit großem Muth und Freyheit den Begriff seines Metiers gebildet, kennt das Einzelne recht gut und schickt sich übrigens, bey seinem heiteren Humor, trefflich zu einem Handwerk, das immer von Hoffnungen lebt, Hindernisse als täglich Brot speis't, um allenfalls am Sonntage ein Stückchen Kuchen zu essen.

So eben höre, daß Graf Carl Harrach, einer meiner ältesten Carlsbader noch lebenden Bekannten, angekommen; wodurch denn einige der letzten Stunden höchst erfreulich werden können.

[19]

Nachtrag.


Mittwoch den 15. September.

Heiterster Morgen. Schreiben an Serenissimum. Expedition an die Kinder präparirt. Carl handelte abermals Mineralien. Gegend Abend über den Posthof, zu Antons-Ruhe. Herrlicher Abend. Die höchste Klarheit. Auch an der Schattenseite waren einzelne Zweige und Büsche zu unterscheiden, wie sie der ausführlichste Landschaftsmahler nur hinschreiben könnte.

Abends das erweiterte Mineralienverzeichniß dictirt.


Donnerstag den 16. September.

Zu Hause getrunken. Briefe von Hause und Jena. Briefe nach Hause vorbereiten. Bergrath v. Herder nahm Abschied. Über Freyberg. Nachricht, Graf Carl Harrach von Wien sey angekommen. Besuch von demselben. Erinnerungen. Nach Tische auf Elbogen. Carl ging um den Hornberg. In die Porcellanfabrik. Fand die drey Gebrüder Haidinger. Der Freyberger gab mir einige Mineralien und nahm Abschied. In Elbogen das Schloß und auf dem Rathhause den zurückgebliebenen Meteorstein gesehen. Nach Carlsbad zurück. Der Tag war wolkig gewesen, streifenartig; Westwind. Abends Besuch von Graf Harrach. Wiener Wesen und Treiben.

Soweit wären wir denn auch gekommen daß ich nichts weiter zu sagen wüßte. Gr. Harrach erinnert[20] sich seines Weimarischen Aufenthalts und deiner mit Freuden, grüßt dich und wünscht Glück zu deinen häuslichen Zustand. Meine Absicht ist Sonntag d. 26. hier abzugehn, da ich denn Dienstag Abend in Jena sehen kann. Zeige dies Färbern an; doch verlaßt euch nicht so sicher darauf, wegen möglicher Zufälligkeiten. Ich schreibe gleich nach meiner Ankunft, du schickest mir die Pferde, ich blieb einige Tage in Jena, um alles einzusehen, damit ich sodann meinen Weim. Aufenthalt nicht wieder zu unterbrechen brauche. Und so lebet wohl und empfangt mich freudig.

C. B. d. 17. Sept. 1819.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1819. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-779A-7