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An Carl Friedrich von Reinhard

An Ihrem so werthen Brief, verehrter Freund, der meinen Aufenthalt in Carlsbad ganz eigentlich krönte, habe ich diese Monate her gezehrt: denn zu [228] Ihren gehaltvollen Worten giebt jeder Lebenstag einen Commentar.

Mir ist es dießmal wohl gerathen, so früh in's Bad gegangen zu seyn, dadurch habe einen sehr leidlichen Sommer verlebt, der sogar vortrefflich gewesen wäre, wenn nicht unvermeidliche Äußerlichkeiten mich hie und da aus dem Gleichgewicht gebracht hätten, welches in späteren Jahren sich immer langsamer wieder herstellt.

Übrigens waren meine Geschäfte ganz friedlich. Im dritten Jahre bemüht, eine Bibliothek aus dem Todesschlafe zu wecken; welches denn freylich nur durch völlige Um- und Umbildung geschehen konnte. Ein Gewächshaus neu zu bauen, um die südlichen Gewächse, die zu uns jetzt häufiger wallfahrten, als wir sonst nach dem heiligen Lande zogen, weil sie nun einmal da sind, zu überwintern, und dergleichen mehr, erregt meine sinnliche Aufmerksamkeit und wirkt wohlthätig, so daß ich auch ein paar Hefte wie der zusammenbringe, wovon das eine nächstens folgt. Möcht es Ihnen auch anregend und erheiternd seyn.

Lassen Sie mich von Zeit zu Zeit nicht ohne Nachricht! Für meine Person finde ich mich darin sehr glücklich, daß, indem ich solche Bogen dictire und abdrucken lasse, immer meiner abwesenden Freunde gedenken darf und einem und dem andern gar wohl etwas zu Liebe und zu Vergnügen glaube dahin zu geben.

[229] Von meinen Naturbetrachtungen folgt ehstens das dritte Heft; darin habe ich auch wieder die Mühseligkeiten mehrerer Jahre niedergelegt, mit dem Wunsch, andern die Mühe zu ersparen. Die Menschen aber sind ganz eigene Personen, daß, da das Irdische ohnehin genugsam auf uns lastet, sie sich den Bündel noch, durch willkürlichen Irrthum, erschweren mögen.

Wenn gleich die gesellschaftlichen Verhältnisse in der gegenwärtigen Lage nirgends erfreulich sind; so muß ich doch bekennen: rings umher nach außen immer noch ganz wohl situirt zu seyn. An fremden Durchreisenden mangelt's nie. Bald sind es die Ferien, wo sich Lehrende und Lernende in der deutschen Welt herumtreiben, dann die Zeit der Badereisen, hin und her, und sonst Anlässe in Unzahl. Da vergeht nun kein Tag, daß ich nicht von Fremden mehrfach angegangen würde, und ich verwende darauf gern ein paar Stunden, die mir niemals ohne Vortheil vorübergehen. Mannichfaltigste Gestalten, an meine entschiedene Einsamkeit sich heran und vorbey bewegend, geben mir Begriffe von der Außenwelt, wohlfeiler als ich sie auf irgend einem Wege hätte gewinnen können.

Dazu kommt noch, daß unsere fürstlichen Familienglieder, von den Großeltern bis zu den Enkeln, in einem sehr glücklichen Verhältniß leben, und mich als ein Inventarienstück des Hauses auf das freundlichste und zutrauenvollste gelten lassen. Mehr wüßte kaum [230] zu sagen, und ich hätte wie Polykrates Ursache, mir selbst ein Übel zuzufügen, zu Versöhnung der neidisch angenommenen oberen Gewalten, wenn nicht meine liebenswürdige Schwiegertochter, die mir schon einen allerliebsten Enkel gebracht, gerade in Gefahr wäre, Leben gebend, das Leben zu verlieren.

So weit wären wir also, daß schon gesorgt ist, jede Art von übermüthigem Selbstgefühl werde sich recht hübsch die eigenen Sordinen aufsetzen. Das Alter weiß freylich diese dämpfenden Maschinen ohne weiteres gar gemächlich anzubringen, und wir wären also auf alle Weise geborgen.

Von dem in Frankfurt mir bestimmten Monumente wüßte nichts zu sagen; ich verhalte mich dagegen ganz stille, contemplirend; denn da es mehr ist als ein Mensch erleben sollte; so muß er sich gar wundersam bescheiden zusammen nehmen, um nur die Legung des Grundsteins zu überleben.

Unsern Canzler, Herrn v. Müller, hab ich ausgescholten, daß er, in die Frankfurter Societäten verwickelt, sich nicht Muße genommen, Sie in Bockenheim zu besuchen; damit ein lebendiger Zeuge mir von Ihrem Aufenthalte und Wohlbefinden Nachricht und Versicherung gegeben hätte.

Mit dem zu sendenden Hefte noch einiges Zurückbleibende.

treulichst verbunden

Jena den 15. September 1820.

G. [231]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-77D1-7