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An Amalie von Levetzow

Das alte Jahr, das mir so viel Schönes und Gutes gegönnt hat, soll nicht vorübergehen ohne daß meine theuern Freundinnen abermals ein Wort des Grußes und Dankes vernehmen. Zwar hat der [297] November mich nicht aufs beste behandelt, doch giebt die Aufsicht auf den letzten, und in dessen Gefolg auf den längsten Tag neuen Muth und Hoffnungen. Möge das Alles nach Wunsch gelingen!

Daß H. Edgworth auch uns mit einem Besuche beglückt haben Sie aus dem eingeschobenen Billet gesehen. Er zeigte sich wie sonst, zuvorkommend unterrichtet, so gar angenehm, nur mit der Kammerjungfer, zuletzt auch mit einem Kutscher wollte es nicht in Ordnung kommen.

Daß ich mit meinen Gedancken oft genug, in Böhmen gewesen lassen Sie mir gelten, was aber sagen Sie wenn ich melde daß eine Zeichnung vom Hafenberge, mit Klippen und Ruinen, mir ganz unerwartet neulich vor Augen trat. Ich betrachtete ihn mit einiger Scheu: ob nicht etwa gar an und auf demselben mich die Strafe irgend eines Kirchraubs, oder sonstigen Vergehens, wie es auf Engelhaus der Fall war, drohend erwartete; doch will ich mir von so liebenswürdigen Richtern alles gefallen lassen, die ja wohl behülflich sind das allerschlimmste zu überstehen.

Wenn ein schlanckes, liebes Kind sich niederbeugt und meiner gedenckend ein Steinchen aufhebt, so ist das zu den hundert Stellungen in denen ich sie vor mir sehe wieder ein neuer Gewinn; sie mag mir ja die Früchte ihrer Bemühung nicht vorenthalten.

Unserm Weimar-Egerischen Ehpaar hab ich nur das Beste nachzufragen; dieser extemporirte Bund hat [298] sich glücklich bewährt; die Art der jungen Frau, die Sie kennen, verschafft ihr überall freundlichen Empfang; die Kinder hat sie durch Freundlichkeit und Sorgfalt gewonnen; so wie durch bescheidnes Betragen die Familie, so daß sie sich in ihren hiesigen Verhältnissen recht wohl gefallen kann.

Nur vor einiger Zeit betraf den tüchtigen Arzt eine schwere Krankheit, zwar nur von kurzer Dauer, aber doch in Augenblicken für die Gattin und für uns alle, die das größte Zutrauen zu ihm haben, äußerst peinlich. Indessen ist auch das vorüber gegangen und wir haben Ursache die besten Hoffnungen zu hegen. Sie ist sehr froh und danckbar noch in Ihrem Andencken zu leben.

Und so bleibt mir eine neue Seite noch übrig welche nur den geringsten Ausdruck meiner Gesinnungen und Wünsche zu fassen Raum genug gäbe. Zu gleicher Zeit aber steht der neue Wand-Calender von 1824 vor mir wo die zwölf Monate zwar reinlich aber auch vollkommen gleichgültig aussehen. Vergebens forscht ich welche Tage sich für mich roth welche düster sich färben werden; die ganze Tafel ist noch in Blancko, indessen Wünsche und Hoffnungen hin und wieder schwärmen. Mögen die meinen den Ihrigen begegnen! Möge sich dem Erfüllen und Gelingen nichts! nichts! entgegen setzen! Sagen Sie Sich unter einander alles in traulicher Stunde, wie es auf der Terasse, im Hin- und Herwandeln weitläufiger auszuführen wäre.

[299] Meine nächsten Aussichten aber, deren Gewährung ganz von Ihnen abhängt, lassen Sie mich nicht zu lange entbehren. Wo und Wie? haben meine Gedancken Sie aufzusuchen? Gute Nachrichten von allen Herzlich gegrüßten, den Herren Grafen und die theuren Eltern mit eingeschlossen, mit Sehnsucht hoffend und erwartend.

treu anhänglich

Weimar. Sylvester Abend 1823.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An Amalie von Levetzow. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-77E7-8