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An Sulpiz Boisserée

Ihr lieber Brief von Nürnberg erregt und erfreut mich, bisher war ich still weil unsere innere Staatsbewegung keine Wirkung nach außen zuließ. Auch habe ich Ihnen eigentlich nichts zu sagen, als bis Sie das Heft gelesen haben, welches sich durch technische Quängeleyen verspätete. Ferner durfte ich schweigen weil ich mich überzeugt hielt, daß Sie über Ihre Zustände nichts entschließen würden, pars infidelium kann auch pars incertorum genannt werden, denn so etwas Unsicheres und sich selbst Widersprechendes habe ich nicht leicht gesehen. Daß ich mich Ihnen zu Liebe mit Gegenständen beschäftige, die mir einigermaßen abseits lagen, ist mir zu manchem Guten gediehen und wenn ich auch durch diesen Anlaß einigen Zuspruch von außen hatte, so war er mir nicht lästig sondern lehrreich: Ich lernte bedeutende Männer kennen und ihre Denk- und Handelsweise.

Nun ist es aber sehr hübsch und ein freundlicher Zufall, daß ich einige Augenblicke nach Empfang Ihres Briefs auch die miniirte Veronika erhielt. Das Bild ist wirklich allerliebst gemacht und wird mir dienen, die Kunstfreunde zu überzeugen, daß ich nicht zuviel vom Original gesagt.

Auch jetzt enthalte ich mich manchen Wortes und es ist mir gewissermaßen lieb, daß Sie mein Heft[12] nicht vor Ihrer Reise gesehen. Zustimmung und Gegensatz bleibt um desto reiner. Mich verlangt sehr nach dem was Sie mir über oberdeutsche Kunst versprechen; es wäre wirklich hübsch wenn wir über unsere Ahnherrn in's Reine kommen könnten. Daß Sie unsern Freund Seebeck in seinem Familienkreise gesehen ist mir sehr lieb, man muß ihn als Stamm- und Hausvater erkennen, wenn man seinen ganzen Werth einsehen will.

Mit meiner dießjährigen Reise sieht es noch wunderlich aus, wenigstens kann ich vor Johannis von hier nicht weg, auch möcht ich wohl einmal einen Sommer zu Hause bleiben, ich komme sonst in meinem Leben weder mit meinen Kunstbesitzungen noch mit meinen wissenschaftlichen und andern Arbeiten zu Stande und Ordnung. Auf alle Fälle hören Sie von mir. Lassen Sie mich aber wissen, wie es Ihnen auf der Reise ergeht.

Ich bin neugierig, auf welcher Poststation Ihnen mein Heft begegnet, auch hier müßte von rechtswegen der Zufall sich einen kleinen Scherz machen. Wenn Sie nach Hause kommen finden Sie einige Exemplare.

Nun leben Sie recht wohl, sehen Sie und erwerben Sie viel Schönes und geben mir Kenntniß davon.

Weimar d. 10. May 1816.

Goethe. [13]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-783C-4