[342] 23/6563.

An Christiane von Goethe

[Töplitz, 21. Mai 1813.]

Freytag den 23. fuhren wir nach Tharand. Der Weg dahin durch ein Thal an der Weisseriz hinauf, das sich bald sehr verengt, bald wieder erweitert, und [342] zu schönem Feldbau Gelegenheit giebt, ist höchst angenehm. Die Lage des Badeörtchens selbst ist wirklich gefällig. An dem Puncte, wo zwey Thäler zusammen kommen, steht die Ruine eines großen und weitläuftigen Schlosses auf einer isolirten Anhöhe. Um dieselbe und in die beyden Thäler hinauf ist der Ort gebaut, das Badehaus groß und geräumig und auch zum Logiren eingerichtet. Ich erneuerte die Bekanntschaft mit Herrn Forstrath Cotta, dessen Anstalt junge Leute zum Forstwesen zu bilden sehr gut gedeiht. Andere Erziehungsinstitute schließen sich an und greifen in einander. Auch besuchte ich Herrn von O'Caroll, der mit Tochter und Enkel sich in jenes friedliche Eckchen der Welt geflüchtet hat. Wir speisten und tranken gut und waren Abends zur rechten Zeit wieder zu Hause. Ich besuchte noch Frau von Grotthuß.

Sonnabends früh war alles auf den Beinen, weil man die Ankunft der Potentaten erwartete. Ich ging über die Brücke und besuchte Kügelgen in der Neustadt. Cosacken, Uhlanen, andere Reuterey, Fuhrwerke aller Art, von den schechtesten Kibitken bis zu den kostbarsten Reisewagen bewegten sich hereinwärts. Die wohlmontirte und sich gut präsentirende Dresdner Bürgergarde hinauswärts. Die Ankunft der hohen Häupter verzog sich. Ich ging wieder zurück nach Hause, sodann mit meiner Wirthinn Frau von Burgsdorf in die Canzley des Finanzcollegiums, deren [343] Fenster gerade auf die Brücke gingen. Doch als mir's da zu warm und zu eng ward, ging ich mit Forst. Cotta wieder in die Neustadt, nach dem schwarzen Thor, wo man ein paar bekränzte Säulen aufgerichtet hatte, an deren Fuß die Bewillkommnung vor sich gehn und hübsche weißgekleidete Kinder wie gewöhnlich Blumen streuen sollten. Hier erfuhr ich den Unfall welcher Weimar betroffen hatte auf eine Weise, die mich mehr verdroß als erschreckte. Meine eigne so wunderbare und unvorsetzliche Entfernung gab mir die Hoffnung, daß auch von euch das Übel werde entfernt geblieben seyn. Kaiser und König ritten endlich ein, es war 1/2 1 Uhr. Die Garden, wundersam schön, männlich und militarisch, folgten, bey 8000 Mann Infanterie. Mit Muth kamen wir zurück in die Stadt. Auf dem Neumarkte hielten Kaiser und König. Hier sah ich noch den Rest der Infanterie, alsdann Cavallerie und starke Artillerie vorbey defiliren. Nachts war Illumination, fast durchaus mit Lichtern hinter den Fenstern. Ein einziges Haus hatte einen transparenten Tempel, daneben Inschriften mit ziemlich kleinen Buchstaben, an welchen die Zuschauer die Schärfe ihrer Augen übten, ohne daß sie solche ganz hätten lesen können. Überhaupt scheint man, was diese Dinge betrifft, in Dresden nicht stark zu seyn. So waren die Festone, womit die beyden Empfangssäulen oben verbunden waren, dergestalt dünn und mager, daß man sie den Mädchen auf die Kleider [344] hätte garniren können. Ein starker Wind trieb sie nach der Stadt zu, so daß die hereintretenden Fürsten wenig davon gesehn haben.

Sonntag Quasimodog. den 25. Da entschieden war, daß die Hoheit nicht herüber kommen, sondern der Kaiser sie in Töplitz besuchen würde, so machten wir die Vorbereitungen zur Abreise. Ich dankte Herrn und Frau Hofrath von Burgsdorf, meinen freundlichen Wirthen, für gute Aufnahme, ingleichen Herrn Hauptm. Verlohren für seine Vorsorge. Wir wurden aus der Ressource, deren Vorsteher er ist, trefflich, reichlich und wohlfeil gespeist und getränkt.

Um 1 Uhr fuhren wir auf vortrefflichem Weg und bey herrlichem Wetter nach Pirna. Es liegt gar anmuthig an der Elbe. Wir kehrten im Rößchen ein. Nach Tische besuchen wir den Dom, der ein merkwürdiges Gebäude ist. Nicht so alt wie der Meißner, aber doch auch sehr lobenswürdig. Die hier und da eingeschriebenen Jahrszahlen deuten auf die Mitte des 16. Jahrhunderts. Außen ist zwar ein Basrelief von 1404 das aber bey einem neuen Bau nur eingemauert scheint. Das Merkwürdigste war uns der Taufstein. Um den runden Fuß desselben, auf dem viereckten Sockel sind zusammenhängende Gruppen von Kindern angebracht, wie folgt.


[345] Erste Seite

Drey schlafende,ein Erwachteszwey die sich
betendesmit den Haaren
eines kleinern
beschäftigen.
Zweyte Seite, gegen den Altar gekehrt

Ein VerbindendesEin Verbindendes
EinEinEin
SchildhaltendesTafelhaltendesSchildhaltendes
1561.
Dritte Seite, Fortsetzung der ersten

Zwey spielen mitZwey sichEin Trinkendes
einem Hunde, einliebkostende
drittes will Theil
nehmen
Vierte Seite, gegen die Kirche gekehrt

DreyEin drittes durchZwey
MusverzehrendeTheilnahmeObstverzehrende.
verbindendes

[346] Dieß sind die Vorstellungen der vier Seiten, wobey zu bemerken ist, daß immer die letzte Figur der einen Seite, perspectivisch mit in die folgende Seite componirt. Man sieht leicht, daß der Gedanke sehr naiv ist: denn was konnte man artiger thun, als die Kindheit um den Taufstein versammeln. Die Compositionen sind durchaus kunstgerecht, die einzelnen Stellungen allerliebst, die Figürchen ohngefähr 6 Zoll hoch. Ich will suchen, eine Zeichnung davon zu erhalten.

Wir gingen nach dem Flusse, der die Gegend belebt, sahen mehrere auf und abfahrende Schiffe. Diese sind sehr lang, vielleicht 90-100 Fuß. Ein solches Schiff trägt 1800-2000 Scheffel (Dresnder) Getraide. Die Pirnaische Steine werden auch darauf nach Dresden transportirt. Ein dergl. mit Steinen beladenes Schiff strandete Sonnabends an einem Pfeiler der Dresdner Brücke. Die Schiffer waren sonst gewohnt, durch die jetzt gesprengten Bogen zu fahren, und sind noch nicht genug unterrichtet, wie sie durch die andern durchkommen sollen, besonders da wegen der verschütteten 2 Bogen der Strom durch die übrigen gewaltsamer durchzieht. An dem Elbufer der Stadt Pirna fanden wir dergl. Steine, die oberwärts herabkommen, mehr jedoch große aufgesetzte Haufen Kalksteine, 2 bis 3 Stunden von Pirna bey Nensdorf und Borne gebrochen. Er muß mit dem Thonschiefer verwandt seyn, denn er hat eine [347] ganz schiefrige Lage. Auch Mühlsteine fanden wir von Kotta eine Stunde von Pirna. Wir unterhielten uns mit einem entlassenen Sächsischen Artilleristen, der uns allerley Notizen gab, uns auf die Höhe hinter den Sonnenstein führte. Der Sonnenuntergang war unendlich schön, höherauchig, die Scheibe feuerroth und noch röther der Wierderschein im Wasser. Die Aussicht nach dem Königstein und Lilienstein sehr interessant. Seitdem Torgau zur Festung bestimmt ist, so hat man den Sonnenstein, ein weltläufiges Schloß gleich über Pirna, zum Irren-, Kranken- und Besserungshaus mit großen Kosten eingerichtet, ansehnliche Gärten ummauert pp. Die Anstalt soll vortrefflich seyn und von einem geschickten Arzte Biniz besorgt.

Montag den 26. fuhren wir um 6 Uhr von Pirna ab, kamen um halb 11 in Peterswalde an, verweilten eine Stunde. Bey der Capelle war die Aussicht ganz wunderbar. Durch starken Höhenrauch waren die hinter einander stehenden Bergreihen vortrefflich abgestuft. Um 3 Uhr in Töplitz im Schiff eingekehrt und zwar in Gartenhause. Es ward ausgepackt. Nach Tische kam Herr von Ende. Abends ging ich zur Hoheit. Es regnete indessen sehr stark.


Töplitz den 21. May 1813.

Ich hoffe, du wirst die sechs ersten Blätter meines Reisetagebuchs, die ich bey Herrn von Verlohren zurückließ, jetzto wohl erhalten haben. Auch schrieb ich ein [348] Zeddelchen durch einen Weimarischen Kutscher (Knecht bey Herrn Sorge) am 9. May, ferner den 10. über Carlsbad und den 14. durch Graf Edling. Die beyden letzten waren ziemlich gleichlautend, es ist also genug, wenn du nur einen erhalten hast. Von mir kann ich nur sagen, daß ich mich recht wohl befinde. Das Bad thut seine alten Dienste. Wir sind fleißig und fahren sodann in der Gegend umher. Ohne die Equipage wäre hier nicht zu leben: denn da man so nah am Kriegsschauplatz ist, daß man Nachts sogar manchmal die Feuerzeichen am Himmel sieht, wenn irgend ein unglücklicher Ort brennt, da man von lauter Flüchtigen, Blessirten, Geängstigten umgeben ist, so sucht man gern in die Weite zu kommen, wenn man zu Hause sein bischen Geschäft abgethan hat. Der Frühling ist hier unendlich schön, besonders blühn die Kastanien jetzt in Park und an allen Wegen auf das allervollkommenste. Das Leben ist ohngefähr so theuer hier, wie vor dem Jahre in Carlsbad. Es wird wenig Unterschied seyn.

Hiernächst muß ich den Kutscher loben, der nicht allein Pferde und Geschirr, wie immer, sehr gut hält, sondern auch seinen übrigen Dienst dergestalt versieht, daß man es nicht besser wünschen kann. Schon durch seine Ehrlichkeit wird mehr erspart als zu berechnen ist.

Euere durch Herrn von Spiegel gesendete Briefe sind mir von Prag zugekommen. Sie haben mir sehr viel [349] Vergnügen gemacht. In der jetzigen zeit kann man nur Gott danken, wenn man auf seinen Füßen stehen bleibt. Das Unglück was jetzt Dresden und die Gegend aussteht, darf man sich gar nicht vergegenwärtigen. Ich habe jetzt bis 17 Mal gebadet, und will so fortfahren. Alles kommt darauf an, wie meine Arbeit von Statten geht. Bis jetzt läßt sie sich gut an. Der künftige Monat muß ausweisen, was weiter zu thun ist. Grüße Prof. Riemer zum schönsten und theil ihm das Gegenwärtige mit. Ich danke ihm für seine Zuschrift. Ich habe mir die griechische und römische Technologie in Dresden angeschafft und studire sie fleißig. Sobald ein paar Bücher der Biographie im Reinen sind, sende ich sie ab. Auch Hofr. Meyer grüße zum schönsten und laß ihm besonders die Stelle von Taufstein zu Pirna lesen; diese ist ihm zugedacht. August soll gleichfalls Dank für sein Briefchen haben. Könnt ihr mir auf irgend eine Weisewieder etwas zubringen, so thut es. Frau von Stein alles Liebe und Gute, wie allen Freunden und Nachbarn, nicht weniger Wolffs und sämmtlichen Schauspielgenossen. So viel für dießmal, mit dem herzlichsten Lebewohl! welches auch dem kleinen Mandarinen gelten soll.

G.


[Töplitz, 24. Mai 1813.]

Da es mir nun, wie du siehst, so wohl als möglich geht; so danke ich dir herzlich für den Antrieb [350] mich hierher zu begeben. Einige Tage später wäre es unmöglich gewesen. Was du erduldet hast möge eine möglich Folgezeit vergelten. Bis jetzt steht alles noch schwankend, so daß man keinen Plan machen, noch sich etwas vornehmen kann, sobald dies möglich ist hörest du mehr von mir. Indessen schreibe ich von Zeit zu Zeit, laßt mich auch etwas vernehmen.

August soll mich dem Erbprinzen so wie dem Prinzen Bernhard bestens empfehlen. Letzterem sende ich das Mährchen vom Todtentanze, in einer Ballade verwandelt, mit gegenwärtiger Gelegenheit und hoffe es wird Spas machen.

Von Carl kann ich euch so viel sagen, daß derselbe, obgleich von seiner Geliebten und Schwiegermutter begünstigt, noch nicht zu seinem Ziele gelangen können. Weil aber doch zuletzt durch Beharrlichkeit alles möglich wird, so wird sich das auch machen. Er ist gegenwärtig hier, um gewisser Negoziationen willen, zu deren Beförderung ich ihm ein zweytes Attestat ohngefähr im Sinn des ersten nicht versage. Die Beharrlichkeit, wie gesagt, von Mutter und Tochter, scheint immer die gleiche und sie wird es denn doch noch zuerst dahin bringen, daß wir Carln als Hausbesitzer in Carlsbad, wozu ihm sein Name schon berechtigt, dereinst begrüßen werden.

[351]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Christiane von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7841-5