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An Carl Ludwig von Knebel

Fraskati d. 3. Oktbr. 1787.

Dein Brief erfreute mich zu meiner Abreise von Rom, nun bin ich seit acht Tagen hier, in Gesellschaft [266] des alten Kunstfreundes Reifenstein, der sehr viele Kenntniße hat und ein gefälliger, guter, muntrer Gesellschafter ist. Ich setze hier das Studium des Landschaft Zeichnens eifrig fort. Jetzt oder niemals werde ich über gewiße Schwierigkeiten hinauskommen und mir wenigstens ein bequemeres Talent für die Zukunft erwerben, als ich bißher besaß, wo es mir mehr Verdruß als Freude machte.

Das Studium der Kunst wird sehr ernsthaft getrieben, besonders da ich jetzt Zeit vor mir sehe. Nur dieß Land zu recognosciren braucht es ein Jahr, und erst seit ich von Neapel zurück bin, hab ich eine Art von Ruhe empfunden. Die heisen Monate hab ich der stillen Betrachtung, der Arbeit zu Hause und dem Egmont gewidmet, der jetzt wohl bey Herdern angekommen seyn wird. Mich verlangt eure Meynung darüber zu hören.

Die bildende Kunst wird so ernsthaft als möglich getrieben. Man kann mit ihr, wie mit den heiligsten Sachen spielen, wofür ich mich denn sehr in Acht nehme.

Kaum war die erste Begierde des Anschauens gesättigt, kaum hatte sich mein Geist aus der Kleinheit der Vorstellungsart die uns Ultramontanen mehr oder weniger anklebt, erhoben; so sah ich mich schnell nach den besten und sichersten Wegen um. Ich fand sie leicht und gehe nun Schritt vor Schritt darauf hin, langsam aber sicher, als wenn es mein Metier werden[267] sollte und so, daß ich einen festen Grund habe, auf dem ich, selbst in der Entfernung von diesen Gegenden, zwar langsam, doch gewiß fortbauen kann. Glücklicherweise hab ich auch eine Combination der Kunst mit meiner Vorstellungs Art der Natur gefunden und so werden mir beyde doppelt lieb.

Die Botanick übe ich auf Wegen und Stegen. Es möchte wie eine Rodomondate klingen, wenn ich sagte, wie weit ich darin gekommen zu seyn glaube. Genug ich werde immer sichrer daß die allgemeine Formel die ich gefunden habe, auf alle Pflanzen anwendbar ist. Ich kann schon die eigensinnigsten Formen z. E. Passiflora, Arum, dadurch erklären und mit einander in Parallel setzen.

Zur völligen Ausbildung dieser Idee brauchts doch noch Zeit. Dieses Land ist schon recht zu einem solchen Studio gemacht. Was ich im Norden nur vermuthete finde ich hier offenbar. Leider daß ich so ganz von allen Büchern, die zu diesem Studio gehören, entfernt bin! Die Genera Plantarum und noch dazu eine alte Edition, sind der ganze Vorrath meines Robinson Crusoeischen Musei.

Ich habe diesen Sommer eine Nelcke gefunden aus welcher 4 andre, vollkommne Nelcken herausgewachsen waren, und aus diesen wieder andre gewachsen wären, hätte die Vegetation Trieb genug gehabt. Es ist ein höchst merckwürdiges Phenomen und meine Hypothese wird dadurch zur Gewißheit. Das Phenomen ist ganz [268] anders als es Hill beschreibt, der von solchen Pflanzen ein Tracktätchen herausgegeben hat.

Die Reise des D. Saussure auf den Mont blanc, die man mir aus der Schweitz zugeschickt hat, freut mich herzlich. Es ist immer schön wenn jemand einen Gipfel seiner Wünsche erreicht. Nur giebt michs wunder, daß er es nicht eher gethan und sich die Palme des ersten Ersteigens hat rauben laßen. Als ich in Chamouni war, sagte ich voraus daß es möglich sey und gab eine Art an, die von der welche sie gebraucht wenig unterschieden war.

Grüße Batschen. Ich fürchte der Heuraths Versuch wird mißlingen. Es ist freylich der schönste den ein Naturkundiger machen kann, nur will er nicht immer gerathen.

Lebe wohl und gebrauche des Meinigen. Empfiehl mich dem Herzoge, den Herzoginnen und guten Freunden. Und was du beytragen kannst daß mir die Zeit meiner Entfernung friedlich hinstreiche, daß mir mein Willkomm bey Euch freundlich werde das thue.

Liebe mich.

G. [269]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1787. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7869-D