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An Carl Ludwig von Knebel

Ich habe dir lange nicht geschrieben und auch lange nichts von dir gehört; hier sende ich eine Schachtel, mit der Bitte, die inliegenden hölzernen Modelle, nebst dem Billet, Herrn Bergrath Voigt zu übergeben, er wird die Gefälligkeit haben mir diese Körper in Eisen gießen zu lassen, ich brauche sie zu magnetischen Versuchen und hoffe dadurch einige artige Resultate zu gewinnen. Zugleich liegt auch etwas mineralisches für dich bey, Gipskrystallen von Montmartre und der sogenannte krystallisirte Sandstein von Fontainebleau. Ich habe von Humboldt einige Stücke dieser Art erhalten, welche ich der Gefälligkeit Dolomieus verdanke. Dieser lebt noch immer wenigstens ruhig und leidlich in Paris. Humboldts befinden sich auch recht wohl.

[144] Wir haben indessen Iffland hier gehabt, der uns acht sehr vergnügliche Abende verschaffte, er ist und bleibt ein sehr schätzbarer Künstler.

Von dem was ich bisher gethan kann ich nicht viel rühmen, ob ich gleich immer fortgearbeitet und manches vorbereitet habe.

Am ernsthaftesten und anhaltendsten hat mich das Studium der Ilias beschäftigt, das ich auch noch eine Zeit lang fortzusetzen denke.

Da mein erster epischer Versuch gut aufgenommen worden, so ist es mir eine Art von Pflicht diese Dichtungsart noch näher zu studiren, um mich noch weiter drinne zu wagen, denn ich finde sie sowohl meinen Jahren, als meiner Neigung, so wie auch den Umständen überhaupt am angemessensten, ja vielleicht dürfen wir Deutsche in keiner Dichtart uns so nahe an die echten alten Muster halten als in dieser, und es kommen so viel Umstände zusammen die ein schwer ja fast unmöglich scheinendes Unternehmen begünstigen. Habe ich in Herrmann und Dorothea mich näher an die Odysse gehalten, so möchte ich mich wohl in einem zweyten Falle der Ilias nähern; sollte aber auch ein solches Unternehmen zu kühn seyn, so gewinne ich doch schon unglaublich beym bloßen Studio, und eine Aussicht auf einen künftig praktischen Gebrauch, wenn sie auch nur ein frommer Wahn wäre, begünstigt doch unglaublich jede theoretische Untersuchung, und selbst die klare Einsicht von Unerreichbarkeit [145] eines hohen Vorbildes gewährt schon einen unausprechlichen Genuß, ja es ist jetzo gewissermaßen einem jeden der sich mit ästhetischen Gegenständen beschäftigt die höchste Angelegenheit sich über diese alten Meisterstücke, wenigstens mit sich selbst, in Einigkeit zu setzen, da man von allerley Seiten so manches sonderbare darüber hören muß.

Bergrath Scherer ist am Sonnabend zurück und wir haben also auch ein Chemisches Orakel in der Nähe, welches um so wünschenswerther ist als diese Wissenschaft nicht allein vorschreitet, sondern auch hin und wieder schwankt, so daß ihr nur derjenige folgen kann dessen eigentliches Geschäft sie geworden ist.

Unser guter Meyer fährt fleißig fort seine Bemerkungen sowohl, als seine Grundsätze über bildende Kunst zusammen zu schreiben. Ich werde auch einiges dazu thun und wir wollen mit dem Druck nicht lange säumen. Ich freue mich dadurch mit dir und den andern entfernten Freunden einen neuen Communicationsweg eröffnet zu sehen.

Da Johanni wieder herannaht so schicke mir doch etwa deine Quittungen, und eine besondere Assignation auf die Summe die ich für dich auslegen soll, nebst dem Verzeichniß wohin ich es zu zahlen habe. Diese Assignation wird dir alsdann zugerechnet und wir brauchen nicht so umständlich wie das vorigemal zu seyn.

[146] Lebe recht wohl und genieße der schönen Jahrszeit und laß mich bald hören daß du dich wohl befindest.

W. d. 15. May 1798.

G.


No. 1. Chaux sulfatée Crystallisée ou Gypse crystalli sé, de Montmartre pres Paris.
No. 2. Gres a pate calcaire, affectant les formes du Spat calcaire, de Fontainebleau.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1798. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-78A7-0