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An Adele Schopenhauer

Zum erstenmal seit langer Zeit befolg ich das Beyspiel jenes berühmten Secretärs der englischen Societät Hooke, der niemals einen Brief erbrach als Feder, Dinte und Papier schon in Bereitschaft. Ich rühme sehr oft diese Maxime und befolge sie selten, aber unter dem heutigen Datum, wo ich Ihr liebes Schreiben empfangen, soll auch Gegenwärtiges an Sie abgehen.

[171] Möge sich Ihr liebes Innere an der herrlichen Rheinnatur, in sittlicher und künstlerischer Thätigkeit zum schönsten und liebenswürdigsten wieder herstellen. Freunde tragen hiezu nichts bey. »Das Herz ist für sich eine Welt und muß in sich selbst schaffen und zerstören.«

Von unsern Zuständen das Nächste: Ottilie ist ganz eigentlich von und an diesem Kinde genesen. Ein schönes Mädchen, willkommen Vater und Mutter, so wie Großvater und Brüdern, vom ersten Augenblicke herangeputzt mit auserwähltem Schmuck, an ausländische so wie inländische Freunde wundersam erinnernd, so daß man eine Jenny oder sonst ein artiges Naturwunder, dergleichen schon geweissagt, vor sich zu sehen glaubt.

Sodann will ich lakonisch von uns allen versichern daß wir uns ganz leidlich befinden, doch gerade so, um nicht übermüthig zu werden. Gar manche liebe Freunde gingen bey uns vorüber, unter welchen Zelter vorzüglich genannt werden muß. Ich erinnere mich nicht einmal, ob Sie ein Bild von Begas gesehen haben, welches ihn in seinem liebenswürdigsten Augenblick, als aufmerksamsten Tonhorcher und Forscher zu jedermanns Zufriedenheit darstellt. Hegel besuchte mich auch, eher mündlich als schriftlich zu verstehen.

Zum Heil unserer tanzenden Lieblinge sind die besten Engländer angelangt. Indem sie bey Hofe begünstigt figuriren, weiß ich noch nicht, ob einer [172] oder der andere schon capturirt ist oder wer Anstalt macht, diesen oder jenen sich anzueignen. Der alte treue Lawrence ist wieder angekommen, man behandelt ihn ohne Consequenz und macht daher von allen Seiten offne Jagd auf ihn. Wie und wo er sich bestimmen oder klüglich vielfache Gunst vorzuziehen geneigt seyn wird, davon wüßt ich noch nichts zu sagen.

Bey mir hat er sich besonders insinuirt, indem er ein aus Alabaster geschnittenes Bildniß Cannings, unter Glasglocke, in rothsammtgefüttertem Futteral, aufmerksam-anständig verehrte; es ist zugleich ein allerdings lobenswürdiges Kunstwerklein und eine sehr erfreuliche Erinnerung an dieses edle Bild, welches auch frühzeitig und voreilig zu Staub geworden.

Soviel für dießmal, mit dem Wunsche, Gegenwärtiges möge Sie erfreuen und [veranlassen,] mir von Ihrer Umgebung und Ihrem geselligen Leben, auch künstlerischem Thun recht anschauliche Nachricht zu ertheilen.

treu angehörig

Weimar den 16. November 1827.

Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Adele Schopenhauer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-78BA-6