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An Ernst Wolfgang Behrisch
Dienstags d. 10 Nov. 67.
Es ist gut daß ich heute einen Brief von dir gekriegt habe. Sieh ich antworte auch gleich, ob du gleich dieses Blat erst Sonnabends kriegen sollst.
Abends um 7 Uhr.
Ha Behrisch das ist einer von den Augenblicken! Du bist weg, und das Papier ist nur eine kalte Zuflucht, gegen deine Arme. O Gott, Gott. – Laß mich nur erst wieder zu mir kommen. Behrisch, verflucht sey die Liebe. O sähst du mich, sähst du den elenden wie er raßt, der nicht weiß gegen wen er raßen soll, du würdest jammern. Freund, Freund! Warum hab ich nur Einen?
um 8 Uhr.
Mein Blut läuft stiller, ich werde ruhiger mit dir reden können. Ob vernünftig? das weiß Gott. Nein, nicht vernünftig. Wie könnte ein Toller vernünftig reden. Das bin ich. Ketten an diese Hände, da wüßte ich doch worein ich beissen sollte. Du hast viel mit mir ausgestanden, stehe noch das aus. Das [134] Geschwätze, und wenn dir's Angst wird, dann bete, ich will Amen sagen, selbst kann ich nicht beten. Meine – Ha! Siehst du! Die ist's schon wieder. Könnte ich nur zu einer Ordnung kommen, oder käme Ordnung nur zu mir. Lieber, lieber.
Horn war da, ich hatte ihn herbestellt mir etwas vorzulesen, ich habe ihn abweisen lassen, er glaubt ich liege im Bette. Der muß mich nicht stören wenn ich mit dir rede. Er ist ein guter Junge, aber wenn's auf's stören ankömmt, da ist er ein Meister drinne. – Tausend Sachen, und nicht die rechte. – O Behrisch. Behrisch! Mein Kopf.
Ich habe mir eine Feder geschnitten um mich zu erholen. Laß sehen ob wir fortkommen. Meine Geliebte! Ab sie wird's ewig seyn. Sieh Behrisch in dem Augenblicke da sie mich rasen macht fühl ich's. Gott, Gott warum muß ich sie so lieben. Noch einmal angefangen. Annette macht – nein nicht macht. Stille, stille, ich will dir alles in der Ordnung erzählen.
Am Sonntage, ging ich nach Tische zu Docktor Hermann, und kehrte um drey zu Schönkopfs zurück. Sie war zu Obermanns gegangen ich wünschte mich zum erstenmale in meinem Leben hinüber, wußte aber kein Mittel, und entschloß mich zu Breitkopfs zu gehen. Ich ging, und hatte oben keine Ruhe. Kaum war ich eine Viertelstunde da, so sagt' ich der Mamsell, ob sie nichts an Obermanns wegen der Minna zu bestellen hätte. Sie [135] sagte nein. Ich insistirte. Sie meynte, ich könnte da bleiben, und ich, daß ich gehen wollte. Endlich, von meinen Bitten erzürnt schreib sie ein Billiet an Mamf. Obermann gab mir's und ich flog hinunter. Wie vergnügt hoffte ich zu seyn. Weh ihr! Sie verdarb mir diese Lust. Ich kam. Mams. Obermann erbrach das Billiet, es enthielt folgendes: »Was sind die Manspersonen für seltsame Geschöpfe. Veränderlich, ohne zu wissen warum. Kaum ist Hr. Goethe hier so giebt er mir schon zu verstehen daß ihm Ihre Gesellschafft lieber ist als die meinige. Er zwingt mich ihn etwas aufzutragen und wenn es auch nichts wäre. So böse ich auch auf ihn deßwegen binn, so weiß ich ihm doch Danck, daß er mir Gelegenheit giebt Ihnen zu sagen, dass ich beständig sey
Die Ihrige.
«
Mamsell Obermann nach dem sie den Brief gelesen hatte versicherte mir daß sie ihn nicht verstünde, mein Mädgen laß ihn und anstatt daß sie mich für mein Kommen belohnen, mir für meine Zärtlichkeit dancken sollte, begegnete sie mir mit solchem Kaltsinn daß es der Obermann so wohl, als ihrem Bruder mercklich werden mußte. Diese Aufführung die sie den ganzen Abend, und den ganzen Montag fortsetzte verursachte mir solches Aergerniß, daß ich Montags Abends in ein Fieber verfiel, das mich diese Nacht mit Frost und Hitze entsetzlich peinigte, und diesen ganzen Tag zu Hause bleiben hieß – Nun! O Behrisch, verlange nicht daß ich es mit kalten Blute erzähle. Gott. – [136] diesen Abend schicke ich hinunter, um mir etwas holen zu lassen. Meine Magd kommt und bringt mir die Nachricht, daß Sie mit Ihrer Mutter in der Commödie sey. Eben hatte das Fieber mich mit seinem Froste geschüttelt, und bey dieser Nachricht wird mein ganzes Blut zu Feuer! Ha! In der Comoedie! Zu der Zeit da sie weiß daß ihr Geliebter kranck ist. Gott. Das war arg; aber ich verzieh's ihr. Ich wußte nicht, welch Stück es war. Wie? sollte sie mitdenen in der Comödie seyn. Mit denen! Das schüttelte mich! Ich muß es wissen. – Ich kleide mich an und renne wie ein toller nach der Comödie. Ich nehme ein Billiet auf die Gallerie. Ich bin oben. Ha! ein neuer Streich. Meine Augen sind schwach, und reichen nicht biß in die Logen. Ich dachte rasend zu werden, wollte nach Hause laufen, mein Glas zu holen. Ein schlechter Kerl, der neben mir stand riß mich aus der Verwirrung, ich sah daß er zwey hatte, ich bat ihn auf das höflichste, mir in's zu borgen, er taht's. Ich sah hinunter, und fand ihre Loge – Oh Behrisch –
Ich fand ihre Loge. Sie saß an der Ecke, neben ihr ein kleines Mädgen, Gott weiß wer, dann Peter, dann die Mutter. – Nun aber! Hinter ihrem Stuhl Hr. Ryden, in einer sehr zärtlichen Stellung. Ha! Dencke mich! Dencke mich! auf der Gallerie! mit einem Fernglaß – das sehend! Verflucht! Oh Behrisch, ich dachte mein Kopf spränge mir für Wuht. [137] Mann spielte Miss Sara. Die Schulzen machte die Miss, aber ich konnte nichts sehen, nichts hören. meine Augen waren in der Loge, und mein Herz tanzte. Er lehnte sich bald hervor, daß das kleine Mädgen das neben ihr saß nichts sehen konnte. Bald trat er zurück, bald lehnte er sich über den Stuhl und sagte ihr was, ich knirschte die Zähne und sah zu. Es kamen mir Tränen in die Augen, aber sie waren vom scharfen Sehen, ich habe diesen ganzen Abend noch nicht weinen können. – Hernach dacht ich an dich, ich schwöre es dir, an dich, und wollte nach Hause gehen, und dir schreiben, und da hielt mich der Anblick wieder, und ich blieb. Gott, Gott! Warum mußte ich sie in diesem Augenblicke entschuldigen. Ja das taht ich. Ich sah wie sie ihm ganz kalt begegnete, wie sie sich von ihm wegwendete, wie sie ihm kaum antwortete, wie sie von ihm importunirt schien, das alles glaubte ich zu sehen. Ah mein Glas schmeichelte mir nicht so wie meine Seele, ich wünschte es zu sehen! O Gott und wenn ich's würcklich gesehen hätte, wäre Liebe zu mir nicht die letzte Ursache, der ich dieses zuschreiben sollte.
Es schlägt neune, nun wird sie aus seyn die verdammte Comoedie. Flucht auf sie. Weiter in meiner Erzählung. So saß ich eine Viertelstunde und sah nichts als was ich in den ersten fünf Minuten gesehen hatte. Auf einmal faßte mich das Fieber mit seiner ganzen Stärcke, und ich dachte in dem Augenblicke[138] zu sterben; ich gab mein Glaß an meinen Nachbaar, und lief, ging nicht aus den Hause – und binn seit zwey Stunden bey dir. Kennst du einen unglücklicheren Menschen, bey solchem Vermögen, bey solchen Aussichten, bei solchen Vorzügen, als mich, so nenne mir ihn und ich will schweigen. Ich habe den ganzen Abend vergebens zuweinen gesucht, meine Zähne schlagen an einander, und wenn man knirscht, kann man nicht weinen.
Wieder eine neue Feder. Wieder einige Augenblicke Ruhe. O mein Freund. Schon das dritte Blat. Ich könnte dir tausend schreiben, ohne müde zu werden. Ohne fertig zu werden. Welcher Elender hat sich je satt geklagt.
Aber ich liebe sie. Ich glaube ich träncke Gift von ihrer Hand. Verzeih mir Freund. Ich schreibe warlich im Fieber, warrlich im Paroxismus. Doch laß mich schreiben. Besser ich lasse hier meine Wuht aus, als daß ich mich mit dem Kopf wider die Wand renne.
Ich habe eine Viertelstunde auf meinem Stuhle geschlafen. Ich binn würcklich sehr matt. Aber das Blatt muß diesen Abend noch voll werden. Ich habe noch viel zu sagen.
Wie werde ich diese Nacht zu bringen? dafür graut's mir. Was werde ich morgen tuhn? das weiß ich. Ich werde ruhig seyn biß ich ins Hauß trete. Und da wird mein Herz zu pochen anfangen, [139] und wenn ich sie gehen oder reden höre, wird es stärcker pochen, und nach tische wird' ich gehen. Seh ich sie etwa, da werden mir die Tränen in die Augen kommen, und werde dencken: Gott verzeih dir wie ich dir verzeihe, und schencke dir alle die Jahre, die du meinem Leben raubst; das werde ich dencken, sie ansehen, mich freuen daß ich halb und halb glauben kann daß sie mich liebt, und wieder gehen. So wird`s seyn morgen, übermorgen, und immer fort.
Sieh Behrisch, die Sara sah ich einmal mit ihr. Wie unterschieden von heute. Es waren ebendieselben Scenen, eben die Acteurs, und ich konnte sie heute nicht ausstehn. Ha! alles Vergnügen liegt in uns. Wir sind unsre eigne Teufel, wir vertreiben uns aus unserm Paradiese.
Ich habe wieder geschlafen, ich binn sehr matt. Wie wird's morgen seyn. Mein armer Kopf dreht sich. Morgen, will ich ausgehen, und sie sehn. Vielleicht hat ihre ungerechte Kälte gegen mich nachgelassen. Hat sie's nicht so binn ich gewiss, einen gedoppelten Anfall von Fieber morgen abend zu kriegen. Es sey! Ich binn nicht mehr Herr über mich. Was taht ich neulich als ich von meinem unbändigen Pferde weg gerissen ward? Ich konnte es nicht einhalten, ich sah meinen Todt, wenigstens einen schröcklichen Fall vor Augen. Ich wagt' es, und stürzte mich herunter. Da hatte ich Herz. Ich binn vielleicht nicht der herzhafteste, binn nur gebohren in [140] Gefahr herzhaft zu werden. Aber ich binn jetzt in Gefahr, und doch nicht herzhaft. Gott! Freund! weißt du was ich meyne? Gute Nacht. Mein Gehirn ist in Unordnung. O wäre die Sonne wieder da! Unzufriedenheit! Ich weiß warrlich nicht mehr was ich schreibe.
Mittwochs früh.
Ich habe eine schröckliche Nacht gehabt. Es träumte mir von der Sara. O Behrisch, ich bin etwas ruhiger, aber nicht viel. Ich werde sie heute sehen. Wir probieren unsre Minna bey Obermanns und sie wird drüben seyn. Ha, wenn sie fortführe sich kalt gegen mich zu stellen! Ich könnte sie strafen. Die schröcklichste Eifersucht sollte sie quälen. Doch nein, nein, das kann ich nicht.
Abends um 8.
Gestern um diese Zeit, wie war das anders als jetzt. Ich habe meinen Brief wieder durchgelesen und würde ihn gewiß zerreissen, wenn ich mich schämen dürfte, vor dir in meiner eigentlichen Gestalt zu erscheinen. Dieses heftige Begehren, und dieses eben so heftige Verabscheun, dieses Rasen und diese Wollust werden dir den Jüngling kentlich machen, und du wirst ihn bedauern.
Gestern machte das mir die Welt zur Hölle, was sie mir heute zum Himmel macht – und wird so lange machen, biß es mir sie zu keinem von beyden mehr machen kann.
[141] Sie war bey Obermanns und wir waren eine viertelstunde allein. Mehr braucht es nicht um uns auszusöhnen. Umsonst sagt Schäckespear Schwachheit dein Nahme ist Weib, eh würde man sie unter dem Bilde des Jünglings kennen. Sie sah ihr Unrecht ein, meine Kranckheit rührte sie und sie fiel mir um den Hals, und bat mich um Vergebung, ich vergab ihr alles. Was hätte ich zu vergeben, in Vergleich des was ich ihr in diesem Augenblicke vergeben haben würde.
Ich hatte Stärcke genug ihr meine Narrheit mit der Comödie zu verbergen. Siehst du, sagte sie, wir waren gestern in der Comödie, du mußt darüber nicht böse seyn. Ich hatte mich ganz in die Ecke der Loge gerückt, und Lottchen neben mich gesetzt, daß er ja nicht neben mich kommen sollte. Er stand immer hinter meinem Stuhle, aber ich vermied so viel ich konnte mit ihm zu reden, ich plauderte mit meiner Nachbarinn in der nächsten Loge, und wäre gern bey ihr drüben gewesen. – O Behrisch, das alles, hatte ich mir gestern überredet, daß ich es gesehn hätte und nun sagte sie es mir. Sie! Um meinen Hals gehangen. Ein Augenblick Vergnügen ersetzt tausende voll Quaal, wer möchte sonst leben, mein Verdruß war vorbey, ein vergangenes Ubel ist ein Gut. Die Erinnerung überstandener Schmerzen, ist Vergnügen. Und so ersetzt! mein ganzes Glück in meinen Armen. Die schöne Schaam, die sie ohngeachtet unsrer Vertraulichkeit so oft ergreift, daß die mächtige Liebe, [142] sie wider das Geheiß der Vernunft in meine Arme wirst; die Augen die sich zu drücken, so oft sich ihr Mund auf den meinigen drückt; das süße Lächeln in den kleinen Pausen unsrer Liebkosungen, die Röhte, die Schaam, Liebe, Wollust, Furcht, auf die Wangen treiben, dies zitternde Bemühen sich aus meinen Armen zu winden, das mir durch seine Schwäche zeigt, daß nichts alsFurcht sie je herausreissen würde. Behrisch, das ist eine Seeligkeit, um die man gern ein Fegfeuer aussteht. Gute Nacht, mein Kopf schwindelt mir wie gestern, nur von was anders. Mein Fieber ist heute ausgeblieben, so lang es so gutes Wetter bleibt wird es wohl nicht wieder kommen. Gute Nacht.
Freytags um 11. Nachts.
Mein Brief hat eine hübsche Anlage zu einem Werckgen, ich habe ihn wieder durchgelesen, und erschröcke vor mir selbst. Ich weiß nicht warum ich jetzt schreibe. Gute Nacht. Es war nur um dir gute Nacht zu sagen.
Sonnabends.
Ich hoffe daß dieses das letzte Blat seyn wird. Noch einige Punckte, auf deinen Brief.
Von Augusten ist noch kein Brief da. Das gute Mädgen. Wäre sie hier, ich wollte sie trösten. Trösten, im eigentlichen Verstande. Sieh, ich habe sie lieb, ob ich gleich ihr zu Liebe nicht das Fieber kriege. Guter Junge, ich will sie noch sehen. Sie [143] wird wohl so gut seyn und warten biß ich nach Dreßden komme, und geht sie nach Eulenburg; so geb ich mich für einen Stud. Theol. aus und besuche den Papa. Ach ich bin sehr närrisch.
Ich will dir wohl das Clavier geben, doch ich tuh's hinter meinem Vater, und da ists gefährlich. Wegen des Preises, weist du schon wie ich dencke, ist eine Sache mein, und mein Mädgen oder mein Freund feilscht drum so ist sie gewiß um den wohlfeilsten Anschlag zu haben. Unsre Väter dencken anders. Sie lassen sich für die Sprichwörter totschlagen, Handel leidet keine Freundschaft! Das dumme Ding hat gewiß ein Mäckler erfunden, oder ein Jude erfunden. Du siehst also was ich da tuhn kann, wenn ich etwas verkaufe das nicht mein gehört. Wenn ich dir's noch gebe, wie ich hoffe, so ist dein Gebot gut, und mit dem Zahlungs Termin hat's auch keine Eile.
Hr. Steiger ist sehr böse auf dich, und auf alles was dich liebt, er giebt dich von ganzem Herzen zum Teufel, weil du so unfreundschaftlich handeln, und weggehen können, ohne dich freundschaftlich, in seinen freundschaftlichen Armen, seiner Freundschaft zu empfehlen.
Annette grüßt dich. Ich dencke, nun hörte ich auf, Zwey Bögen. Lieber Gott was für ein Geschreibe. Ich hab's wieder durchgelesen, und glaube, daß es dich von jedem Fremden divertiren würde, allein deinen Freund wirst du bedauern. Es ist wahr [144] ich bin ein großer Narr, aber auch in guter Junge, Annette meynts, meynst du es nicht auch.