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An Carl Ludwig von Knebel

Es war ein sehr glücklicher Gedanke, den dir die Freundschaft eingab, daß du dich meiner bey Gelegenheit der Griesbachischen Nachlassenschaft erinnern wolltest. Die heutige Sendung ist mir besonders merkwürdig. Sie enthält die Handschriften sehr bedeutender Männer aus dem philologischen Fache, von denen ich wenig besaß. Sie sollen sogleich einrangirt werden. Es sind sehr merkwürdige und bedeutende Hände darunter, und weil diese Männer doch an allen Enden [238] Deutschlands gebildet waren, eine sehr große Abwechselung.

Dagegen will ich dir aber auch sogleich eine kleine Gegengabe senden, wie ich dir auch noch den Dank für das Japanische Neujahrspräsent schuldig bin. Du erhältst nämlich hierbey die Staëlischen Blätter, wobey ich dich nur um die Pietät bitte, sie in Jena nicht aus den Händen zu geben noch auch abschreiben zu lassen. Du kannst sie aber wohl im Original unserer lieben Prinzeß nach Mecklenburg schicken mit dem herzlichsten Dank für ihr letztes freundliches Schreiben.

Ich bedaure, daß auch du von der Jahreszeit angegriffen worden bist. Mir ging es nicht besser: denn kaum wagte ich mich aus meiner langen Verborgenheit hervor, ging einige Male nach Hofe und in die Stadt, so meldeten sich schon wieder allerley Mängel und ich muß wieder das Zimmer hüten; doch muß man mit jedem Zustand zufrieden seyn, in Betrachtung, daß so viele Menschen in diesem Augenblick leiden und fernerhin auf das unsäglichste leiden werden.

Der arme Lenz hat mich sehr gedauert; man muß sehn, daß man ihm mit etwas zu Hülfe kommt. Wieland hat auch einen Anfall gehabt, erholt sich aber wieder.

Habe ich dir schon geschrieben, daß mir zum Neuenjahre eine merkwürdigen Antike in's Haus gekommen. Es ist eine Halbherme von Rosso antico, ein bärtiger [239] Bacchus, ohne Zweifel aus den Zeiten Hadrians, bis auf weniges sehr gut erhalten. Ein köstlicher alter Götze, der mich über alle modernen Legenden-Götter tröstet.

Die beykommende römische Calender-Heilige unterhält dich auch wohl einen Augenblick. Wenn die Böttigerische Ader, die durch das Ganze geht, einen auch ein bischen unwillig macht, so versöhnt man sich doch bald wieder mit dem Ganzen, da auf diese Weise das Alterthum doch an die Gegenwart und an's Leben angeknüpft wird. Bedenkt man hingegen die trostlose Behandlungsweise mancher Philologen, wodurch das der Vergangenheit inwohnende Leben immer mehr ertödtet, das Zusammenhängende zersplittert, dem Gefühl entrissen und blos in die Studirstuben gezogen wird, so möchte man solche dinge, wie gegenwärtiges, gar für heilsam und vortrefflich erklären.

Und somit lebe froh unter den Deinigen. Ertrage die nothwendigen Übel, und laß mich hoffen, in erneuter Jahrszeit wieder einige gute Wochen unter euch zuzubringen.

Weimar den 13. Januar 1813.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7945-6