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An Charlotte von Stein

Rom d. 25. [- 27.] Jan. 87.

Es naht der Sonnabend und ich muß meiner geliebten ein Blat bereiten. Hierbey liegt ein ostensibles woraus einigermaßen ein Bild meiner jetzigen Lage, meiner Beschäfftigungen erscheinen wird. Vom Herzog habe ich einen Brief von Maynz, so mild, wohlthätig, schonend, aufmunternd und herzlich, daß mir auch von [147] dieser Seite meine Lage die glücklichste scheinen müßte. Und sie wird es seyn, sobald ich an mich allein dencke, wenn ich das, was ich solang für meine Pflicht gehalten, aus meinem Gemüthe verbanne und mich recht überzeüge: daß der Mensch das Gute das ihm wiederfährt, wie einen glücklichen Raub dahinnehmen und sich weder um Rechts noch Lincks, vielweniger um das Glück und Unglück einesGanzen bekümmern soll. Wenn man zu dieser Gemüthsart geleitet werden kann; so ist es gewiß in Italien, besonders in Rom. Hier wo in einem zusammensinckenden Staate, jeder für den Augenblick leben, jeder sich bereichern, jeder aus Trümmern sich wieder ein Haüsgen bauen will und muß.

Der Herzog verlangt mich vor Weynachten dieses Jahrs nicht zurück, ich erwarte was du mir schreibst, und führe meinen Plan sachte fort, um das meiste zu thun und auszulangen.

Grüße Franckenberg und schreibe ihm vorlaüfig: Ganganellis Todt komme mir, auch hier am Orte, problematisch vor, ich wolle, wie es einem treuen Geschichtschreiber in solchen Fällen geziemt, das pro und contra sorgfältig studiren, referiren und das Urtheil alsdann meinen Lesern überlaßen. Ich bitte mir nur Zeit dazu aus.

Bey der großen Menge von Ideen wird es mir sauer zu schreiben, denn es sind keine einzelne Bemerckungen und Begriffe, sie sind zusammenhängend, [148] haben mancherley Beziehungen unter sich und bewegen sich wenn ich so sagen darf jeden Tag weiter. Glücklich wäre ich wenn ich jemand Liebes bey mir hätte, mit dem ich wachsen, dem ich meine wachsende Kenntniße unterwegs mittheilen könnte, denn zuletzt verschlingt das Resultat die Annehmlichkeiten des Werdens, wie die Herberge Abends die Mühe und die Freude des Wegs verschlingt.

Von Tischbein kann ich lernen, er nicht von mir und was in mir sich macht, das ist in ihm schon geworden. Desto mehr freut es mich wenn ich auf Spuren komme die er für die rechten erkennt. Ich kann nicht ausdrucken was für ein trefflicher gebildeter Mensch er ist.

Über die Vorsicht Franckenbergs daß ich hier mich nicht verlieben soll mußte ich lachen; du hast nur Eine Nebenbuhlerinn bisher und die bring ich dir mit das ist ein kolossal Kopf der Juno. Zwar könnt ich noch eine dazu setzen das ist die Minerva von Justiniani, diese darf aber kaum berührt und nicht geformt werden, sonst packt ich sie auch auf; übrigens mag ich fast nichts besitzen. Das Transportabelste treffliche sind die Schwefel, welche die Herzoginn Mutter schon alle besitzt und wovon ich nur eine Auswahl Fritzen mitbringen werde; auf Münzen kann ich mich nicht einlaßen, das übrige ist meist Kinderey, wenn ich die Sachen ausnehme die Jenckins besitzt, der einen ungeheuren Preis auf sie legt.

[149] Die Gemmen hab ich in Schwefelabdrücken ziemlich studirt, nun muß ich mich noch auf die Münzen werfen und auch über dieses Feld will ich mir bald einen Blick machen. Wer Rom gesehn hat, dem muß alles Andre zufallen.

Wenn ich gedencke was für schöne Sachen in Deutschland, in unsrer Nähe sind, die mir nun erst alle geniesbar werden; so freu ich mich recht auf nach Hause. Wie hab ich in alle diesen Sachen herumgetappt, nun erscheint mir das liebe Licht und wie freut michs daß ich dir's bringen kann. Ich errinnere mich noch wohl wie einem alle Menschen biß zur Verzweiflung imponiren, die aus Italien kommen, ich will euch keine Schmerzen, sondern Freuden, keine dunckle, sondern klare Begriffe mitbringen, euch nicht nur sagen: ich hab es gesehn, sondern es euch sehen machen.

Du kommst meiner Bitte zuvor, die ich thun wollte, meine Mutter an dem was ich schreibe und schicke Theil nehmen zu laßen.

Kranz hat sich hier nur wenige Tage aufgehalten, für einen Musikus ist hier wenig zu thun, ich kann weder sein Betragen noch seine Kunst beurtheilen ob ich ihn gleich einigemale gesehn und auch ein klein Concertgen Abends eingerichtet habe. Es sind zu wenig Data. Dies sage dem Hofmarschall mit einem Gruße.

Ich empfehle dir den Landkammerrath Riedel, hilf ihm bey seinem Eintritte in die neue Welt, die ihm[150] wunderbar vorkommen wird. Wahrscheinlich kommen ihm Sachen vor aus denen er sich nicht gleich zu helfen weiß. Thu es um des guten Menschen und um der Herzoginn willen. Auch sage ihm: er soll mir hierher nur ganz offen schreiben, was ich ihm abwesend nützen kann thu ich gerne.

Heute geht auch ein Packet an Herdern ab, sag es ihm doch. Es wird wohl ein wenig später ankommen als dieser Brief. Laß dir aber alles zeigen was es enthält. Freut euch meines Andenckens und haltet zusammen.

Meine Existenz hat nun einen Ballast bekommen, der ihr die gehörige Schweere giebt ich fürchte mich nun für denen Gespenstern nicht mehr, die so oft mit mir gespielt haben. Sey auch gutes Muths; so wirst du mich oben halten und mich zu dir zurück bringen.

Danck für alles. Grüße Fritzen! Hier muß ich endigen.

d. 27. Jan. 87. Rom.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1787. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7950-C