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An Kaspar von Sternberg

Gegenwärtiger Sendung füge nur weniges hinzu mit dem Wunsche, daß das darin enthaltene Alte und Bekannte nicht veraltet und unbedeutend möge geworden seyn. Von dem Augenblicke aber habe ich zu vermelden, daß wir heute, den 18. Januar, bey 28 1/2 Barometerstand, also beynah dem höchsten unseres Ortes, 20° Kälte haben, welches sehr empfindlich absticht gegen bisherige laue Witterung. Nun würde ich bitten vorerst um die Barometer – und Thermometerstände des Januars von Prag oder Brzezina, sodann aber um die Barometerstände des [249] letzten Ortes von 1827 allenfalls in graphischer Darstellung, wogegen ich die dießseitigen im Parallelism zu erwidern nicht ermangeln würde; wie sich denn auch die graphischen Darstellungen der nächst vergangenen Jahre nach und nach einstellen werden.

Bey der Unmöglichkeit, die Naturbetrachtung anders als im Einzelnen fortzusetzen, habe doch einiges Bedeutende im Laufe dieser Monate erhalten: durch die Vermittlung der Elberfelder deutsch-amerikanischen Bergwerks-Direction erhielt ich jenseitige geologische Charten, sowohl als Darstellung der Fläche wie auch der Durchschnitte. Man ist auf dem v. Humboldtischen Wege mit Vorsicht weiter gegangen und hat uns dadurch ein wahrhaft erfreuliches Geschenk gemacht. Nicht weniger hat man mir ein Dutzend Bergarten, meist Porphyre, mitgetheilt, wodurch denn eine gewünschte Kenntniß immer mehr erweitert wird.

Ferner muß ich von einer artigen Pflanze sprechen, die gewiß auch schon in Ihren Besitz gekommen, ein Blümchen füge bey. Die Stengelblätter verläugnen die Lilienart nicht, man hält sie dem Anthericum verwandt, konnte aber noch nichts Genaues bestimmen. Die Pflanze treibt einen fadenartigen Blüthenstengel, an welchem die Blümchen erst seltener, dann gedrängter vorkommen, bis sie sich endlich quirlartig entwickeln und ganz abschließlich einen Blätterbüschel treiben. Aus diesem entwickelt sich eine derbe Masse Luftwurzeln, und wenn sie der neuen Pflanze Nahrung [250] gegeben haben, treibt auch diese im Schweben abermals einen Fadenstengel u.s.w. Es kommen also gewissermaßen Luftstolonen zur Erscheinung, deren verbindende Fäden jedoch blühen und an ihrem Geburtsort wohl Frucht tragen. Der Botaniker, der diese Pflanze selbst beobachtet hat, wird über meine Beschreibung lächlen; ich habe mir die botanische Terminologie, so sehr ich sie bewundere, niemals zueignen können.

Manches Andere mitzutheilen verspare, damit diese Sendung nicht aufgehalten werde. Nur füge noch hinzu, daß unsre gnädigsten Herrschaften sich für den Moment sämmtlich wohl befinden, wobey wir uns desto zuverlässiger beruhigen, als ein erprobter Arzt überall zur Seite steht und die Folgen unvermeidlicher Zufälligkeiten klüglich abzuwehren weiß.

Mich zum allerbesten und schönsten empfehlend

treu angehörig

Weimar den 18. Januar 1828.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Kaspar von Sternberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7959-9