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An Carl Jacob Ludwig Iken

[Concept.]

Ew. Wohlgeboren

freundliche Sendung war mir besonders angenehm; sie überzeugt mich von fortwährender Theilnahme und unabwendbarem Vertrauen, wofür ich einen wohlempfundenen aufrichtigen Dank abstatte.

Was die Absicht Ihres vorhabenden Werkes betrifft, von welchem Sie mir Anzeige und Proben mitgetheilt, so kann ich sie persönlich nicht anders, als loben und billigen. Schätzt man einmal die dichterischen Anklänge aus allen Zeiten, von allen Orten her, so sind diese gewiß achtbar genug um sich damit zu beschäftigen. An den serbischen Gedichten haben wir ein wichtiges Fundament, um die östliche Poesie kennen zu lernen, weiter aufzubauen und anzuknüpfen, und der Kampf mit dem halben Monde, der dort doch das eigentliche Thema bleibt, ist ja noch nicht geendet. Durch die Sorgfalt des Herrn Fauriel sind uns die patriotisch-heroischen Interjectionen der Sulioten mitgetheilt worden. Die neugriechischen geben etwas mehr Bild und haben eher einen Körper.

[302] Das Wenige, was Sie mir senden, wo das Romanische den Osten und Westen verbindet, ist allerdings bemerkenswerth. Begeben wir uns nun durch einen Sprung an die Ostsee, so finden wir die: Dainos, die litthauischen Volkslieder übersetzt und gesammelt von L. J. Rhesa. – Auch diese, handschriftlich längst in meinem Besitze, werden jetzt schätzbares Gemeingut. Auch Böhmen hat uns Allerliebstes mitgetheilt aus der Königinhofer Handschrift; und wo wollte ich endigen, wenn ich von allem sprechen wollte, was ich deshalb gesammelt, gedacht und notirt habe. Doch wiederhole zum Schluß: jede Zugabe zu diesem großen und allgemeinen poetischen Feste bleibt nur wünschenswerth. Es wird sich zeigen, daß Poesie der ganzen Menschheit angehört, daß es überall und in einem Jeden sich regt, nur an einem und dem andern Orte, oder in einer und der andern besondern Zeit, so dann aber, wie alle specifische Naturgaben, in gewissen Individuen besonders hervorthut. Wie diese Ansicht von dem Publicum getheilt werde, scheint mir auch nicht ganz ungünstig, indem doch von allen Seiten das Einfach-Wahre geschätzt wird, ja dieser Sinn sogar bey unsern Nachbarn, den Franzosen, Platz greift und sich sehr fröhlich entschieden hervorthut.

Weimar den 23. Februar 1826.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1826. An Carl Jacob Ludwig Iken. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7972-F