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An Johann Christian Kestner

[Frankfurt, 10. April 1773.]

Da tuht ihr wohl Kestner dass ihr mich beym Wort nehmt! O den trefflichen Menschen! »Ihr wollt ia nichts mehr von uns wissen.« Gar schön! Ich wollte freylich nichts von euch wissen, weil ich wusste ihr würdet mir nicht schreiben mögen. Sonst feiner Herre war der Tag eurem Fürsten, der Abend eurer Lotte, und die Nacht für mich und meinen Bruder Schlaff. Die Nacht fliesst nun in den Abend und der arme Goethe behilft sich wie immer. Es stünde euch wohl zu Gesichte – Doch das will ich nicht sagen, ich würde zum Teufel geben, wenn ich euch erst darauf bringen sollte. Also Hr. Kestner und Madame Kestner Gute Nacht.

Ich würde auch hier geschlossen haben wenn ich was bessers im Bett erwartete als meinen lieben Bruder. Sieh doch mein Bett da, so steril stehts wie ein Sandfeld. Und ich habe heut einen Schönen [75] Tag gehabt So schön dass mir Arbeit und Freude und Sterben und Geniessen zusammen flossen. Dass auch am schönen hohen Sternen Abend ganz mein Herz voll war von wunderbaren Augenblick da ich zu'n Füßen eurer an Lottens Garnirung spielte, und ach mit einem Herzen, das auch das nicht mehr genießen sollte, von drüben sprach, und nicht die Wolcken, nur die Berge meinte. Von der Lotte wegzugehn. Ich begreifs noch nicht wies möglich war. Denn seht nur seid kein Stock. Wer nun, oder vorher, oder nachher zu euch sagte geht weg von Lotten – Nun was würdet ihr –? Das ist keine Frage – Nun ich bin auch kein Stock, und binn gangen, und sagt ists Heldentaht oder was. Ich binn mit mir zufrieden und nicht. Es kostete mich wenig, und doch begreif ich nicht wies möglich war. – da liegt der Haas im Pfeffer. –

Wir redeten wies drüben aussäh über den Wolcken, das weis ich zwar nicht, das weis ich aber, dass unser Herr Gott ein sehr kaltblütiger Mann seyn muss der euch die Lotte lässt. Wenn ich sterbe und habe droben was zu sagen ich hohl sie auch warrlich. Drum betet fein für mein Leben und Gesundheit, Waden und Bauch pp. und sterb ich so versöhnt meine Seele mit Trähnen, Opfer, und dergleichen sonst Kestner siehts schief aus.

Ich weis nicht warum ich Narr so viel schreibe. eben um die Zeit da ihr bey eurer Lotte gewiß nicht [76] an mich denkt. doch bescheid ich mich gern nach dem Gesetz der Antipatie. Da wir die Liebenden fliehen, und die Fliehenden lieben.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1773. An Johann Christian Kestner. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7973-D