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An den Großherzog Carl August

Ew. Königlichen Hoheit

gnädigste Befehle so schnell und genau, als in meinen Kräften steht, auszuführen, habe ich jederzeit für meine erste Pflicht gehalten; nur dießmal, gesteh' ich, überfiel mich ein Zaudern, als Höchstdieselben meine Gedanken über die Zeitschrift Isis vorzulegen befahlen.

Ich überwinde jedoch alle Bedenklichkeit und Nachstehendes wird Höchstdieselben überzeugen, daß ich Ursache hatte, mit Besorgniß an's Werk zu gehen.

Manchem dürfte, bey Betrachtung der Acten, wünschenswerth däuchten, daß man sogleich bey'm Erscheinen der Ankündigung von Polizeiwegen das Blatt verboten hätte, wie denn dieser Behörde ganz ohne Frage in einem solchen Falle aus eigener Autorität zu verfahren zusteht, wie ein erfahrenes und geprüftes Mitglied derselben fol. 36 unbewunden ausspricht. Da es aber nicht geschehen, sondern von gedachtem [184] Blatte schon mehrere Nummern ausgegeben worden; so hat man dabey den traurigen Vortheil, zu sehen, wie ungehinderte Verwogenheit täglich wächst und ihre gränzenlose Natur offenbart.

Beyliegende Acten enthalten die Blätter, welche künftigen Geschäftsmännern nothwendig als ein Gräuel erscheinen müssen. Der würdige Vorsitzende der Landes-Direction hat in seinem Vortrag fol. 1-5 mit Klarheit und Mäßigung den Unfug vorgestellt und dadurch mehrere vorzügliche Geschäftsmänner in den Stand gesetzt, die Lage zu beurtheilen und ihr Gutachten, wie dem Übel gesteuert werden könne, vorzulegen. Dieses ist geschehen und sie sind in der Sache vollkommen einig. Ihre Vorschläge gehen dahin, man solle

1) dem Herausgeber seine Ungebühr mündlich oder schriftlich verweisen und ihn

2) bedrohen, daß bey erneuerten Ausfällen auf einzelne Personen, oder ganze Stände, sein Blatt sogleich verboten werden solle.

Hierzu fügen sie

3) den Vorschlag, daß man den Fiscal gegen ihn aufregen und auf dem Wege Rechtens den bisher Beleidigten Genugthuung verschaffen möge.

Hierüber aber meine Meinung zu eröffnen, finde ich mich in großer Verlegenheit; denn so bedeutend und kräftig auch diese Maaßregeln scheinen möchten, so bin ich doch genöthigt, auszusprechen, daß sie mir[185] eher geeignet scheinen, das Übel zu vermehren, als demselben Einhalt zu thun. Ich will die mir vorschwebenden möglichen Folgen gedachter Schritte nicht verhehlen.

Ad 1. Citirt man den Herausgeber zu einem Vorhalt und er bleibt aus, wie soll man alsdann verfahren? Will man ihn durch Militär holen lassen, oder was sonst für eine Maaßregel ergreifen?

Wenn er nun aber erschiene und vor der Behörde eben so kühn und unverschämt spräche, wie er drucken so läßt – (und ihm fehlt es nicht an Redegabe) – will man ihn dann auf die Hauptwache setzen, oder ihn triumphierend ziehen lassen?

Gesetzt aber, er betrüg sich bescheiden, registrirte aber sogleich den ganzen Vorfall und ließ ihn im nächsten Stück abdrucken, mit directer und indirecter Verspottung der Behörde, wozu ihm Druckerstöcke und andere Narrenspossen hundertweis zu Gebote stehen: will man alsdann mit dem angedrohten Verbot vorschreiten, da die Behörde als Partei erscheint und eine ihr angethane Beleidigung ahnden muß, nachdem so viele andere Verhältnisse ungestraft preisgegeben worden?

Dasselbe kann und wird er thun, wenn man ihm schriftlich Verweiß und Drohungen zugehen läßt.

Und es ist keine Seitenbetrachtung, wenn ich sage, daß ein solcher Vorhalt niemals meine Billigung hatte. In meinem Geschäftsgange fiel nur einer vor,[186] einem andern habe ich aus der Ferne zugesehen Vorhalt, Vorwurf, Verweis ist ein Recht des Präsidenten, des Vorgesetzten einer subalternen Masse.

Wenn er menschlich ist und sein Handwerk versteht, so wird er an einzelner Anmahnung, an väterlicher und pädagogischer Bildung es nicht fehlen lassen. Will das nicht fruchten, so fordere er den Ungeschicken vor's Collegium, bedeute ihn seiner Pflicht und bedrohe ihn mit Entlassung; das ist recht, gut und nothwendig. Daß man aber dasselbige auch bey anderen Staatsdienern anwendete, war nur ein Nothbehelf. Man hüte sich, in dieser Form fortzufahren, weil sie in der neueren Zeit nothwendig einmal brechen muß. Man betrachte das gegenwärtige Beyspiel. Der Herausgeber ist ein Mann von Geist, von Kenntnissen, von Verdienst; ihn als einen Schulknaben herunter zu machen, ziemt sich nicht; hat er aber bey allen seinen Vorzügen nebenher noch einen partiellen Wahnsinn, der dem Staate schädlich, ja verderblich ist, so bändige man diesen und die Sache ist mit Ehren gethan.

Ad 2. Sodann will man ihn bedrohen. Auch davon kann ich keine Frucht erwarten. Würde man wohl einem Mohren bey Strafe aufgeben, sich weiß zu waschen?

Das Blatt soll mäßiger, bescheidener werden, es soll sich selbst beschränken! Man betrachte den Inhalt oder die Form dieser Flugschrift: wo soll die [187] Beschränkung herkommen? Es umfaßt encyclopädisch alles Denkbare und sogar das, was es scheinbar aus schließt, nimmt es beleidigend wieder auf. Die Form ist wild, frech, ohne Rücksicht auf irgend ein Verhältniß, ohne Geschmack in der Darstellung wie soll diese Form sich vernünftig gestalten?

Und giebt es denn eine Gränze des Wahnsinns, der Unbescheidenheit, der Verwogenheit? Sie und ihre Geschwister und ihre Verwandte sind, ihrer Natur nach, unbedingt, nicht zur belehren und nicht zu bändigen.

Und wo wäre dann der Maaßstab der Gesetzlosigkeit? Man will das Blatt fortdauern lassen und wer soll dann beurtheilen, ob der Verfasser in sich gegangen, ob wirklich sein Blatt sich der Sitte, sich dem Erträglichen nähert? Fürwahr der hundertste Theil desselben ist eben so schlimm, als das Ganze, und nach der Bedrohung können mancherley Fälle eintreten. Entweder der Herausgeber fährt auf die bisherige Weise fort: wird man resolut genug seyn, die Drohung zu erfüllen? Oder er wirft sich in die Ironie, welche von ihrem zartesten Gipfel bis zu ihrer plattesten Base hundert Formen darbietet, die Leute zu quälen, ohne daß man sich beklagen darf: wird man ihm wehren, die Druckerstöcke zu vervielfältigen, jedes Blatt mit Rebus zu schmücken, wozu er schon auf dem Wege ist? Wer wird ihn hindern, in Räthseln, Logogryphen, Charaden, seine [188] Leidenschaft zu verhüllen, und ist es einer Behörde anständig, den Ödipus zu einer solchen Sphynx zu machen?

Und noch das Letzte und Schlimmste: er hat den Fürsten innerhalb der Staatsverhältnisse angegriffen, wird er lange säumen, die Familienverhältnisse anzugreifen? Und wird man alsdann abermals zaudern, Einhalt zu thun, weil die griechischen Kaiser es für unwürdig gehalten haben, gegen sie gerichtete Beleidigungen zu bestrafen?

Was soll denn nun aber geschehen? – Die Anfangs versäumte Maaßregel muß ergriffen und das Blatt sogleich verboten werden.

Man fürchte sich ja nicht vor den Folgen eines männlichen Schrittes; denn es entstehe daraus, was da wolle, so behält man das schöne Gefühl, recht gehandelt zu haben, da die Folgen des Zauderns und Schwankens auf alle Fälle peinlich sind. Mit dem Verbot des Blattes wird das Blut auf einmal gestopft; es ist männlicher, sich ein Bein abnehmen zu lassen, als am kalten Brande zu sterben.

Wenn ich nun durch diesen chirurgischen Schnitt die Krankheit auszurotten dringend anrathe, so kann ich dagegen keineswegs räthlich finden, fiscalische Klage gegen den Herausgeber zu erheben; hierdurch würde eine Sache, die abgethan und der Vergessenheit übergeben werden sollte, verewigt und erst recht in die Breite getreten.

[189] Ad 3. Wie gegen den Herausgeber geklagt werden solle, ist in den Acten selbst und beyliegenden Blättern umständlich auseinander gesetzt. Wenn er nun aber die gegen ihn gerichtete Klage, mit Noten versehen, abdrucken ließ und vor Gericht erwidert: es könne niemand der Wahrheit wegen bestraft werden, er getraue sich, Alles haarklein darzuthun, was er habe drucken lassen? Und was kann der Fiscal dagegen thun und welches ist das Gericht, dem man eine solche Sache unterwerfen möchte? Sehen wir doch, damit auch dieses ausgesprochen sey, in Facultäten und Dikasterien Personen von gleichem revolutionären Geiste belebt und es wäre gar wohl möglich, daß der Herausgeber vor einem solchen Sanhedrin am Ende Recht behielt und gelobt würde.

Aber auch gesetzt, es wäre in dieser gespaltenen Zeit ein Gericht denkbar, das nach alten, unwandelbaren Gesetzen spräche: ist es denn schicklich, daß ihm ein souverainer Fürst die innersten Fragen zur Entscheidung vorlege, die er allein, berathen von seinem Ministerium, umgeben von seinen Landständen, entscheiden kann? Keinesweges ist es eine Rechtssache und darf es nicht werden.

Noch werfe ich die Frage auf: sollte ein auswärtiger Gerichtshof wohl getadelt werden, wenn er ablehnte, in dieser Sache zu sprechen? Es ist eine Polizeisache, die nur an Ort und Stelle beurtheilt und abgeurtheilt werden kann.

[190] Man lasse das Alles ruhen. Das Geschehene ist geschehen und selbst das Resultat einer rechtlichen Behandlung würde darthun, daß man zu lange nachgesehen hat. Ich kehre daher zu meiner, oben ausgesprochenen, einzigen Maaßregel zurück und zwar dergestalt: man ignorire den Herausgeber ganz und gar, aber man hatte sich an den Buchdrucker und verbiete diesem bey persönlicher Selbstgeltung den Druck des Blattes.

Die Polizei sey wachsam, daß nichts Ähnliches, oder Schlimmeres an den Tag springe. Die erste Folge dieses gethanen Schrittes wird seyn der allgemeine Beyfall aller Rechtlichen im In- und Auslande.

Noch einige Bemerkungen füge ich hinzu. Warum ist denn in dieser Sache das Wort Hochverrath vorgekommen, warum konnte man nur fragen, ob es Hochverrath sey oder nicht? – Die Antwort ist sehr einfach: wie soll das Verrath seyn, was öffentlich geschieht?

Des Herausgebers Unternehmen ist catilinarisch und wer hätte Lust, den Cicero zu spielen, der schlechten Dank verdiente, daß er die Stadt rettete?

Noch ein Punct von großer Bedeutung ist zu berühren.

In den Acten und Blättern, die zu mir gekommen sind, nimmt man als etwas Bekanntes an, daß dieser Zustand auf Selbstrache hinführe. Mit Verwunderung [191] habe ich gesehen, daß man das Schreckliche eines solchen Bekenntnisses nicht zu fühlen scheint. Ich will jetzt für den Herausgeber sprechen, gegen den ich gesprochen habe. – Wie ich oben eine schülerhafte Demüthigung von ihm abzulehnen gedachte, so will ich jetzt die Gefahr schmählichster Behandlung von ihm ablenken. Wer steht dafür, daß die Scenen sich erneuern, die durch Schlözers Anzeigen die Welt erschreckten, aber leider über größere Gräuel vergessen sind? Wasern wurde das Haupt abgeschlagen, Graf Münster mit Hetzpeitschen lederweich traktirt und das sollte sich wiederholen? Wer will dann dem Herausgeber, der noch immer verdient, in der Wissenschaft eine glänzende Rolle zu spielen, wer will ihm zu Hülfe kommen, wenn ihn gereizte junge Leute auf's gräßlichste mißhandeln?

So eben wird mir ein ausführlicher, wohlgedachter Aufsatz mitgetheilt über die künftige Censur-Einrichtung, welcher mich in der umständlich geäußerten Überzeugung noch mehr bestätigt. Denn es geht daraus hervor, daß der Preß-Anarchie sich ein Preß-Despotismus entgegen setze, ja ich möchte sagen, daß eine weise und kräftige Dictatur sich einem solchen Unwesen entgegen stellen müsse, um dasselbe so lange zurückzudrängen, bis eine gesetzliche Censur wieder hergestellt ist. Wie dieses zu thun sey, bedarf einer weiteren Berathung.

Gegenwärtig aber bleibt mir nur übrig, Ew. [192] Königliche Hoheit dringend um Verzeihung zu bitten, wegen meiner vielleicht zu lebhaften Äußerungen. Gewiß würde ich, wenn es die Zeit erlaubte, das Ganze nochmals durcharbeiten und so könnte es vielleicht schicklicher und mäßiger verfaßt werden, aber es kömmt hier nicht auf Styl und Schonung an. Mein einziger Wunsch ist, Ew. Königliche Hoheit und alle Wohldenkende zu überzeugen, nicht sowohl von einem Übel, das uns bedroht, sondern von einem, das uns befallen hat.

Ew. Königlichen Hoheit

unterthänigst treu gehorsamster

Weimar den 5. October 1816.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An den Großherzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-79BE-5