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An Carl Friedrich Zelter

So ist es recht! Nachdem du dir deine Citadelle durch den Aufwand deines ganzen Lebens erbaut und gegründet, einer tüchtigen Leibgrade und trefflicher alliirter Mitkämpfer nicht ermangelt, so schlägst du dich nun tüchtig herum, das Erworbenen zu erhalten, den Hauptsinn zu fördern und dadurch die Lasten zu mindern, die eine solche Lage sich aufbürden mußte.

Es kommen mir hier allerlei Beyspiele aus der alten Geschichte in die Quere, die ich aber beseitige, weil man meistentheils keinen Trost darin findet: daß es den größten unsrer Ahnherrn noch viel schlimmer als uns selbst ergehen mußte.

[265] Glücklicher Weise ist ein Talent-Charakter auf den Ton, d.h. auf den Augenbilck angewiesen. Da nun eine Folge von consequenten Augenblicken immer eine Art von Ewigen selbst ist, so war dir gegeben, im vorübergehenden stets beständig zu seyn und also mir sowohl als Hegels Geist, insofern ich ihn verstehe, völlig zu thun.

Sieh mich dagegen an, der ich hauptsächlich in der Vergangenheit, weniger in der Zukunft und für den Augenblick in der Ferne lebe, und denke dabey: daß ich nach meiner Weise ganz wohl zufrieden bin.

Aus Neapel habe ich eine sehr angenehme Sendung von Zahn erhalten, von dem jungen vorzüglichthätigen Manne, dessen du dich noch wohl erinnerst. Sie haben dem neusten ausgegrabenen und noch nicht ganz enthüllten Hause meinen Namen gegeben, welches mir auch ganz recht ist. Ein Echo aus der Ferne, welches den Verlust meines Sohnes mildern soll. Es wird für eins der schönsten bisher entdeckten Häuser anerkannt, merkwürdig durch ein Mosaik, dergleichen uns aus dem Alterthum noch nicht bekannt geworden. Dieß meldeten die Zeitungen schon lange, vielleicht hast du auch schon einiges davon vernommen.

Mir aber senden sie eine ausführliche Zeichnung des großen behaupten und besäulten Raumes, und zugleich eine Nachbildung im Kleinen von jenem berufenen Gemählde. Man muß sich hüten daß es uns nicht wie Wielanden gehe, bey dessen zarter Beweglichkeit [266] das Letzte was er las alles Vorhergehende gleichsam auslöschte; denn hier möchte man wohl sagen, dergleichen von mahlerischer Composition und Ausbildung sey uns bisher aus dem Altertum nichts überkommen.

Was würdest du sagen, wenn man dir ein verständliches Chifferblatt aus jener Zeit vorlegte, woran du einen Meister der Fuge mit ihren innern und äußern Kriterien erkennen müßtest? Ich sage: aus jener Zeit, welche auf ältere griechische Vorbilder hindeutet.

Daran haben nun die wenigen, aber gründlichen Freunde, die du kennst, schon einige Tage genugsamen Stoff zur Unterhaltung und zur Erbauung; dabey hat denn ein völlig Entgegengesetztes und doch vollkommen Gleiches bey mir eingefunden; ich sage: manche Exemplare einer vor allen geschichtlichen Zeiten versenkten organischen Welt. Fossile Thier-und Pflanzenreste versammeln sich um mich, wobey man sich nothwendig nur an Raum und Platz des Fundorts halten muß, weil man bey fernerer Vertiefung in die Betrachtung der Zeiten wahnsinnig werden müßte. Ich möchte zum Scherze dir einmal, wenn du mit deinen lebendigen Jünglingen lebensthätige Chöre durchprüfft, einen uralten Elephanten-Backenzahn aus unsern Kiesgruben vorlegen, damit ihr den Contrast recht lebhaft und mit einiger Anmuth fühlen möchtet.

[267] Nun bitte ich aber: fahre fort, wie du in deinem letzten Briefe gethan, die alten ewigen Naturmaximen, wornach der Mensch durch die Sprache verständlich wird, aphoristisch auszusprechen, damit in der Folge auch wohl einmal erfüllt werde was geschrieben steht. Es ist wundersam, Engländer, Franzosen und nun auch Deutsche erfreuen sich unverständlich zu sprechen, so wie auch andere das Unverständliche zu hören. Ich wünschte nur daß manchmal ein Italiäner hereinträte und seine emphatische Sprache hören ließe.

Also gescheh es

Weimar den 11. März 1832.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1832. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-79DE-E