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An Charlotte von Stein

Heut sinds fünf Jahre dass ich nach Weimar kommen bin. Es thut mir recht leid dass ich mein Lustrum nicht mit Ihnen feyern kan.

Gestern hatten wir recht schön und wunderbaar Wetter, kamen sehr vergnügt hierher. Ihrer Liebe wieder ganz gewiss, ist mirs ganz anders, es muss mit uns wie mit dem Rheinweine alle Jahre besser werden. Ich rekapitulire in der Stille mein Leben seit diesen 5 Jahren, und finde wunderbaare Geschichten. Der Mensch ist doch wie ein Nachtgänger er steigt die gefährlichsten Kanten im Schlafe. Behalten Sie mich lieb. Das muss einen befestigen dass man mit allem guten bleibender und näher wird, das andre wie Schaalen und Schuppen täglich von einem herunter fällt.

Der Prinz hat auch wie ich mercke eine politisch sentimentalische Visite gemacht.

Der Graf v. d. Lippe ist angekommen. Vielleicht ist schon Donnerstags Comödie. Wenn Sie wieder kommen müssen wir doch einmal einige Politika tracktiren. Die Erde bebt immer fort. Auf Candia sind [1] viel Orte versuncken. Wir aber auf dem uralten Meeresgrund wollen unbeweglich bleiben wie der Meeresgrund.

Adieu Grüsen Sie Lingen. Es warten ihrer eingemachte Früchte. Auch Steinen und Frizzen.

Kommen Sie glücklich.

Weimar, d. 7. Nov. 80.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1780. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-79E3-F