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An Carl Ludwig von Knebel

[16. Januar 1822.]

Mich freut es sehr und muntert mich auf, daß meine Vorarbeit zum Lukrez deinen Beyfall hat, denn wer kann sie besser empfinden und beurtheilen als du, der du das treffliche Wesen so innig kennst. Anregung aber bedarf es freylich zu der Ausführung des Angekündigten, ich fürchte mich gewissermaßen selbst davor; meine Absicht ist, sie diesen Sommer in fremden Landen vorzunehmen, wo der Geist freyer wirkt. Vorbereiten aber will ich mich, und dann würde doch das Beste seyn, wenn wir etwa vierzehn Tage zusammen conferirten und die Sache von Grund aus durchsprächen. Meiner Ansicht bin ich gewiß, weiß auch was und wohin ich will, aber man muß sich erst eines großen Details versichern, wenn man ein solches Wesen durch die vier Categorien von Mensch und Römer, Dichter und Naturphilosoph durchführen will. Doch müssen wir es uns nicht schwer machen und lieber eine Skizze geben als zurücktreten.

Durch die Wendung, den angefochtensten Theil seines Werks, das leidenschaftliche Läugnen der Unsterblichkeit, [238] in's Komische zu spielen, gewinnen wir unendlich; so wie sich recht gut wird zeigen lassen, daß alles, was ihm zum Vorwurf gereichen könnte, eigentlich seinem Jahrhundert als Schuld anzurechnen ist.

Tischbein ist sehr vergnügt über die Darstellung seiner Idyllen und sendet immer eines nach dem andern.

Den Auszug aus der Ilias darf ich wohl empfehlen; ich habe mir ihn zu eigenem Gebrauch vor vielen Jahren gefertigt. Sie streiten, ob die Ilias als ästhetisch Ganzes betrachtet werden könne, und wie viele dürfen denn behaupten, daß sie solche im Ganzen und Einzelnen gegenwärtig haben. Durch diese factischen Grundzüge menschlicher Thaten, belebt durch die begeisternden und localisirenden Gleichnisse, wird es eher möglich. Ich les' es manchmal wieder, weder Lehrer noch Schüler dürfen künftig diese Einleitung entbehren, die in dieser Art und Vollständigkeit noch nicht da ist. Mich regt's oft auf, diesen oder jenen Gesang wieder zu lesen, man faßt ihn alsdann gleich an seiner Stelle, ohne daß uns das Rückwärts und Vorwärts verdüstern würde.

Hab ich dir schon aus einem andern Fache des vortrefflichen d'Altons zweytes Heft der Osteologie [gekannt]? Das erste enthält die Faulthiere, dieses die Pachydermata, die dickhäutigen, schweineartigen Geschöpfe, Elephant, Rhinoceros, Hippopotamos u.s.w. mit der größten Einsicht und Geschicklichkeit gezeichnet und mit herrlicher Übersicht commentirt.

[239] Von einer andern Seite harret uns über diesen Gegenstand entschiedene Aufklärung und Förderung. Hofrath Carus ist von seiner Reise nach Genua zurückgekommen und wir haben von ihm ein herrliches Werk über das Schalen– und Knochengerüst der Thiere zu erwarten. Da wird uns denn die Consequenz der Natur immerfort reiner vor den äußern und innern Sinn gebracht werden.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1822. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7A0D-D