19/5418.

An Johann Friedrich Rochlitz

So ist denn unser theatralisches Unternehmen in Leipzig glücklich vollendet, mit Ehre und Vortheil belohnt, und was mir gleich lieb ist, ich sehe unsre Schauspieler nach dieser Epoche froher, williger, thätiger, und hoffe sowohl für uns einen unterhaltenden Winter als auch künftig für Leipzig eine neubelebte Sommer- [411] unterhaltung. Denn wir haben mancherley artige und mitunter seltsame Dinge vor uns, an denen wir uns zu üben gedenken.

Haben Sie , mein werthester Herr Rath, den besten Dank für Ihren freundlichen Antheil. Ich weiß die stille geräuschlose Behandlungsart recht gut zu schätzen, mit der Sie den unsrigen nachzuhelfen wußten. Wenn es mit dem Epilog eine Irrung gab, so bin ich vielleicht selbst daran Schuld, weil ich mich nicht deutlich erinnere, ob ich unserer Regie deshalb geschrieben habe, mich auf einen natürlichen Gang der Sache und auf Ihr Einwirken, wie bey dem ersten Abschied, verlassend. Auch dafür nehmen Sie Dank, was Sie gewollt, getan und verschwiegen.

Ihre Briefe nehme ich manchmal wieder vor mich und habe sie schon öfter gelesen. Sie dienen mir zum Leitfaden in dem täglichen Theaterlabyrinth, das einer der wunderlichsten Irrgärten ist, die ein Zauberer nur erfinden konnte. Denn nicht genug, daß er schon sehr wunderlich gepflanzt ist, so wechseln auch noch Bäume und Stauden von Zeit zu Zeit ihre Plätze, so daß man sich niemals ein Merkzeichen machen kann, wie man zu gehen hat.

Leider ist hier in Weimar die sondernde Kritik nicht sehr zu Hause. Man nimmt alles zu sehr im Ganzen. Stücke, Schauspieler, Aufführung, alles wird entweder gebilligt oder gewißbilligt, wobey denn Vorurtheil und Laune herrschend werden, und man[412] sich weder des Lobes recht erfreuen, noch den Tadel sehr zu Herzen nehmen kann.

Daher ist es mir unendlich viel werth, daß unsere Schauspieler wenigstens gewahr geworden, daß eine solche Kritik existirt, welche die Mängel begünstigter und die Tugenden gleichgültiger, ja unbegünstigter Personen zu würdigen weiß. Ich selbst werde diesen Winter das Schauspiel öfter besuchen und meine innern und äußern Sinne zu genauerer Prüfung schärfen. Denn ich gestehe gern, das hiesige Publicum machte mir durch willkührliche Zuneigung und Abneigung oft so böse, daß ich, je mehr ich mir in den Proben Mühe gegeben hatte, desto beyzuwohnen. Nun aber, da mich eine Stimme von außen her aufrecht und bestätigt; so werde ich wieder eine Weile auf meinem Wege strecklings fortgehen und mich der Resultate vielleicht selbst erfreuen.

Die gute Aufnahme meiner Stücke hat mir eine besonders angenehme Empfindung gemacht. Ich dachte wohl, daß sie auch einmal Epoche haben könnten, aber nach der Lage des deutschen Theaters glaubte ich's nicht zu erleben. Artig ist es, daß sogar das kleine Schäferspiel, das ich 1768 in Leipzig schrieb, auch noch auftauchen mußte und gut empfangen ward.

Nochmals vielen Dank, den ich gerne mündlich abgestattet hätte, wenn ich nicht, da mir die Brunnenkur ganz wohl bekommen ist, mich vor einer allzu- [413] raschen Geselligkeit gefürchtet hätte. Jetzt will ich sehen, ob ich meine stille Nachkur auch zu Ihrem und Ihrer Mitbürger künftigem Vergnügen benutzten kann.

Leben Sie recht wohl, und wenn es möglich ist, so besuchen Sie uns diesen Winter.

Weimar d. 21. Sept. 1807.

Goethe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1807. An Johann Friedrich Rochlitz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7A4D-E