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An Johann Heinrich Meyer

Bisher habe ich mir immer, wenn ich ungeduldig werden wollte, Sie, mein werthester Freund, zum Muster vorgestellt, denn Ihre Lage, obgleich mitten unter den herrlichsten Kunstwerken, war doch ohne Mittheilung und gemeinschaftlichen Genuß, durch welche doch erst alles was unser ist und wird zum Leben kommt. Dagegen ich, obgleich abgeschnitten von dem so sehr gewünschten Anschauen der bildenden Künste, doch in einem fortdauernden Ideenwechsel lebte, und in vielen Sachen die mich sehr interessirten vorwärts kam; nun aber gesteh' ich Ihnen gern daß [107] meine Unruhe und mein Unmuth auf einen hohen Grad zunimmt, da nicht allein alle Wege für den Augenblick versperrt, sondern auch die Aussichten auf die nächste Zeit äußerst schlimm sind. In Wien hat man alle Fremde ausgeboten, Graf Fries geht selbst erst im September zurück, der Weg von da auf Triest ist für jetzt auch versperrt und für die Zukunft wie die übrigen verheert und unangenehm, in dem obern Italien selbst, wie muß es da nicht aussehen! wenn, außer den kriegführenden Heeren noch zwey Partheien selbst gegen einander kämpfen, und selbst nach einem Frieden wie unsicher und zerrüttet muß es eine lange Zeit in einem Lande bleiben wo keine Policey ist noch seyn wird. Einige Personen, die jetzt über Mailand heraus sind, können nicht genug erzählen: wie gequält und gehindert man überall wegen der Pässe ist, wie man aufgehalten und herumgeschleppt wird und was sie sonst von der Noth des Fortkommens und übrigen Lebens erzählen. Sie können leicht denken daß unter diesen Umständen mich alles, was einigen Antheil an mir nimmt, von einer Reise abmahnt, und, ob ich gleich recht gut weiß, daß man bey allen einigermaßen gewagten Unternehmungen auf die Negativen nicht achten soll, so ist doch der Fall von der Art daß man selbst durch eignes Nachdenken das Unräthliche einer solchen Expedition sehr leicht einsehen kann. Dieses alles zusammendrängt mir beynah den Entschluß ab, diesen Sommer, und vielleicht das ganze[108] Jahr, an eine solche Reise nicht weiter zu denken. Ich schreibe Ihnen dieses sogleich um auf alle Fälle mich noch mit Ihnen darüber schriftlich unterhalten zu können. Denn was ich Ihnen rathen soll weiß ich warlich nicht. So sehr Sie mir auf allen Seiten fehlen und so sehr ich durch Ihre Abwesenheit auch von allem Genuß der bildenden Kunst getrennt bin, so möchte ich doch Sie nicht gern so bald von der Nahrung Ihres Talentes, die Sie künftig in Deutschland wieder ganz vermissen werden, getrennt wissen. Wenn mein Plan durch die äußern Umstände zum Scheitern gebracht wird, so wünschte ich doch den Ihrigen vollendet zu sehen. Ich habe mir wieder eine eigne Welt gemacht und das große Interesse, das ich an der epischen Dichtung gefaßt habe, wird mich schon eine Zeit lang hinhalten. Mein Gedicht ist fertig, es besteht aus zweytausend Hexametern und ist in neun Gesänge getheilt, und ich sehe darinn wenigstens einen Theil meiner Wünsche erfüllt; meine hiesigen und benachbarten Freunde sind wohl damit zufrieden, und es kommt hauptsächlich noch darauf an: ob es auch vor Ihnen die Probe aushält? denn die höchste Instanz, vor der es gerichtet werden kann, ist die, vor welche der Menschenmahler seine Compositionen bringt, und es wird die Frage seyn ob Sie unter dem modernen Costum die wahren ächten Menschenproportionen und Gliederformen anerkennen werden? der Gegenstand selbst ist äußerst glücklich, [109] ein Sujet wie man es in seinem Leben vielleicht nicht zweymal findet. Wie denn überhaupt die Gegenstände zu wahren Kunstwerken seltner gefunden werden als man denkt, deswegen auch die Alten beständig sich nur in einem gewissen Kreis bewegen. In der Lage in der ich mich befinde, habe ich mir zugeschworen an nichts mehr Theil zu nehmen als an dem was ich so in meiner Gewalt habe wie ein Gedicht, wo man weiß daß man zuletzt nur sich zu tadeln oder zu loben hat, an einem Werke an dem man, wenn der Plan einmal gut ist, nicht das Schicksal des Penelopäischen Schleyers erlebt; denn leider in allen übrigen irdischen Dingen lösen einem die Menschen gewöhnlich wieder auf was man mit großer Sorgfalt gewoben hat, und das Leben gleicht jener beschwerlichen Art zu wallfahrten, wo man drey Schritte vor und zwey zurück thun muß. Kommen Sie zurück, so wünschte ich Sie könnten sich auch auf jene Weise zuschwören, daß Sie nur innerhalb einer bestimmten Fläche, ja ich möchte wohl sagen innerhalb eines Rahmens, wo Sie ganz Herr und Meister sind, Ihre Kunst ausüben wollen. Zwar ist, ich gestehe es, ein solcher Entschluß sehr illiberal und nur Verzweiflung kann einen dazu bringen; es ist aber doch immer besser ein für allemal zu entsagen, als immer einmal über den andern Tag rasend zu werden.

Vorstehendes war schon vor einigen Tagen geschrieben, nicht im besten Humor, als auf einmal die[110] Friedensnachricht von Frankfurt kam. Wir erwarten zwar noch die Bestätigung und von den Bedingungen und Umständen ist uns noch nichts bekannt, ich will aber diesen Brief nicht aufhalten, damit Sie doch wieder etwas von mir vernehmen und inliegendes, das man mir an Sie gegeben hat, nicht liegen bleibe. Leben Sie wohl, lassen Sie mich bald wieder von sich hören. In weniger Zeit muß sich nun vieles aufklären und ich hoffe, der Wunsch uns in Italien zuerst wieder zu sehen soll uns endlich gewährt werden.

Weimar am 28. April 1797.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7A5A-0