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An August von Goethe

Aus Beykommendem wirst du sehen, vorerst wie dein herzlicher Brief genau im rechten Augenblick angekommen und mich sehr erfreut hat. Ferner erhellt daraus manches Gute und Lustige, sogar daß der Vater in das neue Jahr hinübertanzen mußte. Gern gesteh ich, daß ich mich solchen Wohlbefindens an Leib und Geist lange nicht erfreute, und wünsche nur diese thätige Heiterkeit mit zu euch zu bringen. Freylich ist sie gewirkt theils durch ein bleibendes, theils durch ein immerwechselndes Interesse; doch bin ich überzeugt, daß eure Liebe mir den Sommer in den Winter wird übertragen helfen.

So freu ich mich denn auch auf gar manches Eingesendete, das ich bey euch finden werde, so wie die Aussicht auf manche Arbeit, die ich hier nicht fortführen konnte. Der Druck der nächsten Hefte wird denn auch die laufende Zeit nicht unangenehm und ungenutzt vorüber führen.

Mit den Polen bin ich, wie ihr seht, auch in freundliche Berührung gekommen; und wenn ich mich nicht sehr zusammen hielte, so würde ich gar bald ganz zerzupft seyn.

[196] Das Wetter ist von der größten Schönheit, das Barometer verharrt auf einem hohen Standpuncte; nur verbietet die Hitze manche Besuche und Communication mit Menschen, die auch wünschenswerth wäre.

Meine frühere Freundin von Jaraczewska hat mir das Sketch Book of Geoffrey Crayon geborgt, welches ich mit Vergnügen lese. Sag dieß Ottilien, die, wenn ich nicht irre, mir das Büchlein schon gerühmt hat. Auch las ich den schwarzen Zwerg von Walter Scott, und sie sieht daraus, daß wenn ich eine Zeitlang in diesem halb zerstreuten, halb einsamen Zustande verharrte, ich in der neusten englischen Literatur wohl noch einige Fortschritte machen könnte.

Übrigens ist es gut, daß ich meinen Wagen bestellt habe, denn Witterung und Zustände sind so verführerisch, daß ich mich gar wohl dürfte verleiten lassen, in diesen böhmischen Zauberkreisen noch eine Zeitlang mit umzukräuseln. In der Zeit jedoch, die mir noch übrig bleibt, geh ich zum Grafen Auersperg auf Hartenberg, welches wenig seitwärts am Wege liegt; dann bin ich einige Tage in Eger, ehe der Kutscher kommt, und das Weitere wird sich ergeben. Im Ganzen hab ich viel Gutes erlebt und eingesammelt, empfangen und gegeben und kann mit allem sehr zufrieden seyn. Stadelmann setzte seine Bergforschungen, John seine Wetterbeobachtungen fort, und in beiden bin ich, sowohl was das Allgemeine als Besondere betrifft, wirklich weiter gekommen.

[197] Meine den 16. August abgesendeten Käse, als leibliche Speisen, werden hoffentlich angekommen seyn und euch gut schmecken. Wenn du ein Viertel oder sonst ein tüchtig Stück an Knebel schicken wolltest, wär es freundlich.

Und da wir nun so weit sind an Essen und Trincken zu dencken, so will ich melden daß ich in einem engen, reinlichen Felsen-Höschen, wo Keller- und Küchthüre die Hauptkoulissen vorstellen, da! die niedlichste Köchinn von der Welt am Heerde besuche wie sie das Mittagsessen bereitet. Ob es gut schmecke? werdet ihr unter einander ausmachen.

Möge das Beste uns allen fort und fort gegönnt seyn!

treulich verharrend

C. B. d. 30. Aug. 1823.

G.


[Beilage.]

Sonntag den 24. August 23.

Nebenstehendes expedirt. Das Tagebuch von 1823, die ersten Monate ausgezogen. Rath Grüner, die gestrigen Exemplare von Boden und Altalbenreuth arrangirend. Graf Trautmannsdorf und Bruder. Nach Tische die Mineralien überlegt. Grüners Abhandlung über die Eger-Trachten Um 4 Uhr kam Hofrath Meyer. Besprachen Carlsbadner Angelegenheiten, besonders Kunst betreffend. Vorbereitung zum Einpacken. Abends Herr Rath Grüner und Meyer.


[198] Montag den 25. ejd.

Hofrath Meyer nahm Abschied. Rath Grüner auch. Verabredung wegen des Grafen Auersperg. Gegen 7 Uhr ab von Eger, 10 Uhr in Zwotau. Schönstes Wetter. Vor Zwotau zeigte sich in Südost eine einzige Wolke Cumulus, ganz auf dem Horizont aufliegend. In Zwotau Gräfin von der Recke und Tiedge. Um 1 Uhr abgefahren. Gegen 4. Uhr in Carlsbad. Hinter Zwotau zeigten sich Wolken im Ost, Cumulus, aber sehr klein diese zehrten sich jedoch schnell auf. Meldung bey Frau v. Levetzow. Über ihr im 2. Stock vom goldnen Strauß eingezogen. Schönes Quartier, schöne Aussicht. Es war ein Wagen mit Früchten und sonstigen Victualien von Graf Klebelsberg angelangt. Köstliche Feigen und Aprikosen vorgesetzt. Polnischer junger Mann Nakwaski sehr heftig über die Unbilden seines Vaterlandes. Mit der Familie gegen Posthof. Abends vor der Thüre bey'm Thee. Graf Walleski, sehr verständiger, sowohl überhaupt, als auch im Deutschen sehr wohl unterrichteter Mann. Nachts mit der Familie. Der abnehmende Mond ging sehr klar über dem Dreykreuzberg auf.


Dienstag den 26. ejd.

Früh um 5 Uhr durchaus klarer Himmel wie gestern. Die Sonne ging Punct 6 Uhr über dem Dreykreuzberg gar herrlich auf. Ich besuchte den [199] Sprudel, wo ich Herrn v. Heydebreck fand. Sodann an den Neubrunnen. Unterwegs General Metsch. Am Neubrunnen niemand Bekanntes. Um 7 Uhr schon große Hitze. War von verschiedenen Personen angesprochen, auch von Frau Heilingötter und Tochter, am Meyerschen Laden. Mit der Familie gefrühstückt. Sodann für mich bis halb 2 Uhr. Nachher Almanache und andere kleine Kupfer mit Ulriken.

Nach 5 Uhr auf Aich gefahren an der Eger hinauf. Kaffee getrunken. Zurück über den Hammer. Herrlicher Abend. Auf der Wiese einige Zeit spazieren. Graf Walleski, ingleichen Kugeski, der von Marienbad kam und Notiz von meinen Gedichten für die zwey polnischen Damen hatte. Geniceo, der Dicke, Seltsame und gewissermaßen Geheimnißvolle. Abends Graf Fredro. Bey'm Abendessen war des neuen Anbaues in Marienbad gedacht worden. Verabredung wegen einer Partie nach Elbogen.


Mittwoch den 27, ejd.

Um 6 Uhr aufgestanden. Die Sonne ging schon um ein Geringes später auf als gestern. Abermals heiterer Tag. Carlsbad hat an Häusern sehr gewonnen; die Häuser sind nicht nur reinlich abgeputzt, sondern es sind auch wirkliche Paläste entstanden, besonders zu öffentlichen Vergnügungsorten, sowohl in der Stadt als in der Nähe, so daß das Bad übervoll seyn und doch die verschiedensten Gesellschaften ihr [200] Unterkommen finden werden. Der Weg nach Aich am rechten Ufer der Eger hinauf ist bey trocknem Wetter ganz leidlich; über den Hammer zurück sehr gut und angenehm. Von der großen Wasserfluth sieht man auch gar keine Spur, nur der Brückenbogen bey'm ersten Eingang, liegt noch in Ruinen; daß dieser zusammenbrach ist gar kein Wunder, er war so schlecht construirt, daß er von irgend einer drüber gehenden Last hätte zusammenstürzen können. – Nachmittags bewölkte sich der Himmel bey sehr heißer Atmosphäre. Nachts verzog sich alles wieder. Graf Geniceo gab, auf Ameliens Neckereyen, einen Tanzthee im sächsischen Saal, wo man vorher sitzend Thee trank und viele Süßigkeiten genoß. Die guten Tänzerinnen und Tänzer, deren nicht viel waren, kamen nicht vom Platze. Mir entstand bey dieser Gelegenheit das Angenehme, daß ich die bedeutenden, hier sich noch aufhaltenden Personen kennen lernte. Fürst Hohenzollern-Hechingen redete mich an; ingleichen Prinzessin Julie. Mehrere Polen und Polinnen ließen sich mir vorstellen. Ingleichen auch Madame de Gajewska, eine Dichterin. Zu der Schlußpolonaise forderte mich eine polnische Dame zum Tanz auf, den ich mit ihr herumschlich und mir nach und nach bey'm Damenwechsel die meisten hübschen Rinder in die Hand kamen. Nach 10 Uhr Schicht. Bey'm Abendessen noch lange zusammen.


[201] Donnerstag den 28. ejd.

Früh aufgestanden. Meist reiner Himmel, wenig Wolken am Horizonte. Man eilte, um 7 Uhr fortfahren zu können. Gegen 9 Uhr kamen wir in Elbogen an. Der Himmel hatte sich überzogen. Eine halbe Stunde mochte die Fahrt heiß gewesen seyn. Im weißen Roß eingekehrt, wo Stadelmann alles gestern bestellt hatte. Großer Spaziergang, erst am rechten Ufer der Eger durch die neuen Felsengänge; Bertha mit dem Gestein beschäftigt. Zuletzt sehr warm. Rückkehrend fanden wir Stadelmann und John, die mit dem Dessert angekommen waren. Lieber Brief von meinem Sohn. Glasbecher mit den drey Namen und dem Datum. Die Marienbader Geschichten recapitulirt und andere. Auf's Rathaus, den Meteorstein zu sehen. In die Porcellainfabrik. Erhielt Zwillingscrystalle. Nach 6 Uhr abgefahren bey kühler Luft und besonders gegen Nordost am Horizont bedecktem Himmel. Glücklich zurückgekehrt bey einbrechender Nacht. Nakwaski kam, sich beurlaubend, nach Marienbad gehend. Unterhaltung über des Grafen Klebelsbergs Gut, dessen Vater und Gesinnungen. Freundlichster Abschied.


Freytag den 29. ejd.

The Sketch Book of Geoffrey Crayon. London 1821. Brief an meinen Sohn. Bericht an den Grafen Sternberg nach dem Schema. Besuch bey [202] Fürst Hohenzollern-Sigmaringen. In Mayers Laden. Ferner mit einigen Carlsbadern gesprochen. Mit einigen Polen. Im Laden bey Zimmer. Kam unvermuthet Geh. Secretär Müller, der sich über die heftige Wirkung, welche wenige Becher Sprudel auf ihn ausüben, beklagte und fast die Absicht wegzugehen äußerte. Stadelmann hatte die Kisten bey Frau Heilingötter eröffnet und einiges davon mitgebracht. Die Absicht ist, Rath Grünern zu seinem Tauschhandel damit ein Geschenk zu machen. Brief von Herrn Rath Grüner, Glückwunsch zum gestrigen Tage. Mittag zusammen. Zimmer schickte eine Note mit unverschämten Preisen, wie ich sie erwartet hatte; 11 Louisd'or verlangte er für 4 Majolika-Teller, für anderes ebenso unsinnig. Er denkt sich nach seiner Erfahrung die Leute, die zu ihm kommen, vornehm, reich und unwissend. Meyer hatte mir schon davon gesagt. Der Mann hatte auch einige schöne Elfenbeine, zu denen der Erbgroßherzog Lust bekam. Gegen Abend gingen wir aus; gemäßigte Wärme; auf dem Chotheckischen Weg hin und wieder. Graf Walleski gesellte sich zu uns. Auf dem Ma riannensitze lange verweilt, es gab mancherlei gute unterrichtende Gespräche. Bey der Rückkehr noch eine Zeitlang auf der Wiese. Der Abend war kühl, ohne feucht zu seyn. Bey Tische Wirkung der Nachricht von meiner Krankheit in Dresden und auf die Familie. Sonstiges Vertrauen. Präsident v. Bülow mit Gemahlin [203] gingen durch. v. Heydebreck wollte nach Marienbad zurück, weil dort sein Kind sehr krank geworden war. Unter uns Geschichten der Marienbader Verhältnisse. Charakter der Bauherren, Hausherren und Hausfrauen; Mängel und Vortheile der verschiedenen Quartiere; nicht weniger die Geschichten des Aufbauens selbst, welches denn freylich ganz wunderliche Blicke gab in das Innere eines solchen Zustandes. Sketch Book und schwarzer Zwerg fortgelesen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7A69-C