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An Carl Friedrich Zelter

Fahre ja fort, mein Guter, aus der reichen äußern Ernte, in die du gesendet bist, mir von Zeit zu Zeit einige Büschel zuzuschicken, indeß ich ganz in's innere Klostergarten-Leben beschränkt bin, um, damit ich es nur mit wenig Worten ausspreche, den zweyten Theil meines Faust zu vollenden. Es ist keine Kleinigkeit,[205] das, was man im zwanzigsten Jahre concipirt hat, im 82. außer sich darzustellen und ein solches inneres lebendiges Knochengeripp mit Sehnen, Fleisch und Oberhaut zu bekleiden, auch wohl dem fertig Hingestellten noch einige Mantelfalten umzuschlagen, damit alles zusammen ein offenbares Räthsel bleibe, die Menschen fort und fort ergetze und ihnen zu schaffen mache.

Du hast den guten St. Galler ausgeforscht und angezogen; möge ihm eine gute Stimme von Natur verliehen seyn, auf daß er das wahre invocacit aus deiner Schule in sein Gebirgsland mit hinübernehme.

Vorstehendes liegt schon lange, und wenn unsre katarrhalischen Zustände uns höchst lästig bleiben, so müssen wir uns zu trösten suchen, daß es uns wie den vielen Mit- und Gleichenden in Berlin nicht zum besten geht. Doch will ich weniges dictiren, um vor deine vielen angenehmen Mittheilungen zu danken.

1) Das löbliche Profil der Medaille ist in jedem Sinne sehr gut gerathen, welches selbst unser Hofrath Meyer gerne eingesteht und mit mir grüßt und dankt. Von der Rückseite weiß ich nichts zu sagen. Mir scheint sie einen Abgrund zu eröffnen, den ich aber bey meinem Fortschreiten in's ewige Leben immer links gelassen habe.

Hast du denn die vier Hefte der Randzeichnungen von Neureuther zu meinen Parabeln und Gedichten[206] gesehen? Sie sind eigentlich nicht recht gäng und gäbe im Handel, ich weiß nicht durch welche Schuld.

Mir hat er in bedeutendem Folioformat, mit der Feder gezeichnet, heiter colorirt, ein ganz allerliebstes Blatt verehrt. Die Parabel: »Ich stand in meiner Gartenthür« ist der Text. Er hat wirklich den Sinn ganz wundersam penetrirt, ja, was merkwürdig ist, das Geheimanmaßliche, was in dem Gedichte liegt, recht bescheiden kühn herausgesetzt.

Und nun hätte noch sehr vieles mitzutheilen, denn ich habe diese 14 tage Gefangenschaft unter einer harten katarrhalischen Despotie gar wohl zu nutzen gewußt, indem ich gränzenlos las und die merkwürdigsten Dinge, an die ich sonst nie gegangen wäre, mir klar machte, z.B. das wunderliche Treiben der St. Simonisten in Paris.

Dabey sind mir auch sehr bedeutende ältere Zeichnungen für einen billigen Preis zu Handen gekommen, und da kann denn der schnupfenhafteste Nebel weder Neigung noch Einsicht verdüstern.

Sey mir übrigens gesegnet in deinem ton- und klangreichen Leben. Es sind mir in diesen Tagen einige Gedanken über Cantilena aufgegangen, die mich fruchtbar beschäftigen; vielleicht wäre sie andern zu nichts nutze, mich haben sie seit ihrem Eintritt gar liebenswürdig gefördert. Dir sag ich nichts davon, denn du hast es, gebrauchst's und genießest's.

Merkwürdige Resultate eines stillen einsamen Denkens möcht ich wohl oft aufzeichnen, dann laß ich's[207] wieder gut seyn. Mag doch am Ende jeder darauf kommen, wenn er in Verhältnisse tritt, wo er das Vernünftige nicht entbehren kann.

Das Wappen kommt nächstens zurück mit abschließlichen Bemerken. Glück auf! der guten Künstlerin.

und so fortan!

Weimar den 1. Juni 1813.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7A71-7