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An Kaspar von Sternberg

Beykommende kleine Sendung, verehrter theurer Freund, wäre schon längst abgegangen, hätte mich der November besser behandelt. Von dessen Unbilden aber sage nur Folgendes: ich ward am ersten November, durch äußeren Anlaß, von einer solchen Erkältung angegriffen, daß die schlimmsten Folgen daraus entstanden, vorzüglich weil ich sie anfangs ohne ernste gegenwirkende Cur vernachlässigte; indem der mit meiner Natur wohlbekannte Hausarzt zu gleicher Zeit gefährlich krank ward. Indessen nahm ein Krampfhusten dergestalt überhand, daß ich vierzehn Nächte auf dem Sessel zubringen mußte, in einem Zustande, [284] der den Unterschied zwischen Tagen und Nächten aufhebt und sich zu der, an meinen Seiten sich immerfort bewegenden Geselligkeit gar seltsam verhielt. Wohlthätig war es jedoch, daß dieses äußere so heftige Übel nicht in mein Inneres drang, und mein eigentliches Ich wie ein ruhiger Kern in einer stachlichen Schale für sich lebendig wirksam blieb. Dadurch ward es möglich, daß ich den Freunden doch einigermaßen theilnehmend erscheinen konnte, auch ein Heft Kunst und Alterthum durch einige Einwirkung und Andeutung zu Stande kam, auch ein morphologisches gefördert wurde.

Nun rück ich, durch fleißiges Baden von allem Krampfhaften nach und nach befreyt, einem thätigern Leben wieder zu, verfahre jedoch nur schrittweise; denn offenbar hatte mir eine zu lebhafte Anstrengung nach meiner Rückkehr aus dem Bade, wo ich mich hätte ruhiger verhalten sollen, geschadet und äußeren Zufälligkeiten die Hand gereicht.

Nun aber, nach dieser leidigen Klage, sey das Gegentheil ausgesprochen, wie sehr mich das liebe Schreiben, Brzizina den 16. September, zu einer Zeit ergötzte, als ich in Gefolg meiner böhmischen Wallfahrt mehrere Tage in Eger gar thätig und anmuthig zubrachte, freudig gefördert an Ort und Stelle durch die Erinnerung vorjährigen schönen Zusammenlebens.

Und so kam denn auch die freundliche zweyte Mittheilung vom 15. November gerade zu einer Zeit, wo[285] ich Zusprache, Anregung und Trostes bedurfte, wofür ich denn, von Herzen dankbar, mich durchaus der Hoffnung freue, die uns auf's Frühjahr gegeben ist. Denn wie nöthig bey dem raschen, gewissermaßen wilden und verwirrten Zustande der Wissenschaften eine persönliche Zusammenkunft und mündliches Besprechen verbundener, mäßiger, aus einer frühern Zeit sich herschreibender Freude sey, fühlt man jeden Tag. Es ist nichts natürlicher, als daß, bey der immer zu nehmenden Menge von Theilnehmern, das Wünschenswerthe zwar gefördert, aber doch immer auch zugleich, nach Maßgabe der Subjectivität, mit Fremdem, Falschem, Störendem nothwendig vermischt werde.

Wenn denn nun bey allem diesen noch persönliche, ökonomische, politische Zwecke sich mit einschleichen; so wird die Unsicherheit eines Vorrückens immer größer. Ich habe Gelegenheit gar manches dergleichen zu bemerken, das man nicht hindern nur bedauern kann, und dem man zu gelegener Zeit allenfalls die reinste Redlichkeit entgegen zu setzen hat.

Nunmehr zu dem Inhalt des kleinern Päckchens:

1) Antithesis Christi et Antichristi, Beschreibung eines Manuscripts in Besitz der Akademie von Jena.

Herr Abbé Dobrowsky erinnet sich, bey einem Gespräche in Marienbad, diesen Band vor vielen Jahren in Jena gesehen zu haben, wünschte eine nähere Nachricht davon, weil er sich vielleicht von einigen Stellen Copien und Abschrift erbitten würde.

[286] 2) Eine Garnitur Glasblättchen, die entoptischen Erscheinungen vielfach zu beobachten, besonders aber zu bemerken, daß sie sich mit großer Consequenz nach der Form des Täfelchens richten.

Die Täfelchen stellt man rechtwinklich auf den schwarzen Spiegel und hält sie bekannter Weise gegen die Himmelsgegenden, da denn besonders Morgens und Abends, bey vollkommen reiner Atmosphäre, die schönsten Erscheinungen nicht außen bleiben.

3) Sechs Bogen von dem so eben im Druck begriffen neusten Stücke Kunst und Alterthum von verschiedentlich bedeutendem Inhalt, denen man, so wie der nächstfolgenden letzten Hälfte, aufmerksame freundliche Theilnahme wünschen darf.

Auf alle Resultate und Folgen Ihrer so bedeutenden Reise mich im voraus freuend, für den sehr schönen sogleich abzudruckenden Aufsatz bestens dankend, schließe, damit das Paquet nicht länger verzögert werde, in sicherer Hoffnung eines frühlinglichen Zusammenkommens.

immer zur Seite,

treu angehörig

Weimar den 18. December 1823.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An Kaspar von Sternberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7AAC-5