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An Sulpiz Boisserée

Es ist ein großer Fehler dessen man sich bey der Naturforschung schuldig macht, wenn wir hoffen, ein complicirtes Phänomen als solches erklären zu können, da schon viel dazu gehört, dasselbe aus seine ersten Elemente zurückzubringen; es aber durch alle verwickelten Fälle mir eben der Klarheit durchführen zu wollen, ist ein vergebenes Bestreben. Wir müssen einsehen lernen daß wir dasjenige, was wir im Einfachsten geschaut und erkannt, im Zusammengesetzten supponiren und glauben müssen. Denn das Einfache verbirgt sich im Mannigfaltigen, und da ist's, wo bey ir der Glaube eintritt, der nicht der Anfang, sondern das Ende alles Wissens ist.

Der Regenbogen ist ein Refractionsfall, und vielleicht der complicirteste von allen, wozu sich noch Reflexion gesellt. Wir können also sagen: daß das Besondere dieser Erscheinung alles, was von dem Allgemeinen der Refraction und Reflexion erkennbar ist, enthalten muß.

Nehmen Sie ferner das Heft meiner Tafel und deren Erklärung vor sich, und betrachten auf der zweyten die vier Figuren in der obersten Reihe, bezeichnet mit A. B. C. D., lesen Sie was Seite 5 zur Erklärung gesagt ist und gehen Sie nun darauf los, sich diesen Anfängen völlig zu befreunden. Und [250] zwar müde ich vorschlagen, zuerst die objectiven Versuche bey durchfallendem Sonnenlichte vorzunehmen.

Versehen Sie sich mit verschiedenen Linsen, besonders mit bedeutenden Durchmesser und ziemlich ferner Brennweite, so werden Sie, wenn [Sie] Lichtmasse hindurch und auf ein Papier fallen lassen, sehen wie sich ein abgebildeter Kreis verengt und einen gelben, zunächst am Dunklen einen gelbrothen Saum erzeugt. Wie Sie nun die Erscheinung näher betrachten, so bemerken Sie daß sich ein sehr heller Kreis an den farbigen anschließt, aus der Mitte des Bildes an den farbigen anschließt, aus der Mitte des Bildes jedoch sich ein graulich-dunkler Raum entwickelt. Dieser läßt nun nach dem Hellen zu einen blauen Saum sehen welcher violett das mittlere Dunkel umgränzt, welches sich hinter dem Focus über das ganze Feld ausbreitet und durchaus blaugesäumt erscheint.

Lassen Sie sich diese Phänomene auf das wiederholteste angelegen seyn, so werden Sie alsdann zu gesäumt erscheint.

Lassen Sie nunmehr Ihre mit Wasser gefüllte Kugel (die Sie als eine gesetzlich aufgeblasene Linse ansehen können) in's freye Sonnenlicht, stellen Sie sich alsdann, gerade wie in meiner Zeichnung des er sten Versuchs angegeben ist, schauen Sie in die Kugel, so werden Sie, statt jenes reflectirten Fensters, die auf die Kugel fallende Lichtmasse in einen Kreis zusammengezogen sehen, indessen derselbige Kreis durch [251] das Glas durchgeht, um hinter der äußern Fläche einen Brennpunct zu suchen. Der Kreis aber innerhalb der Kugel, welcher durch Reflexion und Refraction nunmehr in Ihr Auge kommt, ist der eigentliche Grund jener Zurückstrahlung wodurch der Regenbogen möglich werden soll.

Bewegen Sie sich nunmehr, wie in den andern bisherigen Fällen, so werden Sie bemerken, daß, indem Sie eine schiefere Stellung annehmen, der Kreis sich nach und nach oval macht, bis er sich dergestalt zusammenzieht, daß er Ihnen zuletzt auf der Seite sichtbar zu werden scheint und entlich als ein rother Punct verschwindet. Zugleich, wenn Sie aufmerksam sind, werden Sie bemerken, daß das Innere dieses rothgesäumten Kreses dunkel ist und mit einem blauvioletten Saume, welcher, mit dem Gelben des äußern Kreises zusammentreffend, zuerst das Grüne hervorbringt, sich sodann als Blau manifestirt und zuletzt bey völligem Zusammendrängen als Roth erscheint.

Dabey müssen Sie sich nicht irre machen lassen, daß noch ein paar kleine Sonnenbilder sich an den Rand des Kreises gesellen, die ebenfalls ihre kleineren Höfe um sich haben, die denn auch bey obenbe wirktem Zusammenziehen ihr Farbenspiel gleichfalls treiben und deren zusammengedrängte Kreise, als an ihren nach Roth des Hauptkreises kurz vor dem Verschwinden noch erhöhen müssen. Haben Sie alles dieses sich [252] bekannt und durch wiederholtes Schauen ganz zu eigen gemacht, so werden Sie finden daß doch noch nicht alles getan ist, wobey ich denn auf den allgemein betrachtenden Anfang meiner unternommenen Mittheilung hinweise muß, Ihnen Gegenwärtiges zur Beherzigung und Ausübung bestens empfehlend; worauf wir denn nach und nach in unsern Andeutungen fortzufahren und des eigentlichen reinen Glaubens uns immer würdiger zu machen suchen werden.

Nun aber denken Sie nicht daß Sie diese Angelegenheit jemals los werden. Wenn sie Ihnen das ganze Leben über zu schaffen macht, müssen Sie sich's gefallen lassen. Entfernen Sie die Kugel den Sommer über nicht aus Ihrer Nähe, wiederholen Sie an ihr die sämmtlichen Erfahrungen, auch jene mit Linsen und Prismen; es ist immer eins und eben dasselbe, das aber in Labyrinthen Versteckens spielt, wenn wir täppisch, hypothetisch, mathematisch, linearisch, angularisch darnach zu greifen wagen. Ich kehre zu meinem Anfang zurück und spreche nach aus, wie folgt.

Ich habe immer gesucht, das möglichst Erkennbare, Wißbare, Anwendbare zu ergreifen, und habe es zu eigener Zufriedenheit, ja auch zu Billigung anderer darin weit gebracht. Hiedurch bin ich für mich an die Gränze gelangt, dergestalt daß ich da anfange zu glauben wo andere verzweifeln, und zwar diejenigen,[253] die von Erkennen zuviel verlangen und, wenn sie nur ein gewisses, dem Menschen Beschiedenes erreichen können, die größten Schätze der Menschheit für nichts achten. So wird man aus dem Ganzen in's Einzelne und aus dem Einzelnen in's Ganze getrieben, man mag wollen oder nicht.

Für freundliche Theilnahme dankbar,
Fortgesetzte Geduld wünschend,
Ferneres Vertrauen hoffend.

unwandelbar

Weimar den 25. Februar 1832.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1832. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7AC1-4