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An Christoph Ludwig Friedrich Schultz

Ihr langes Schweigen, mein trefflicher Freund, wäre mir nicht so zu Herzen gegangen, wenn ich nicht darin ein Zeichen eines Mißbehagens zu finden geglaubt; Freunde von so inniger Verwandtschaft sind[140] eigentlich niemals entfernt, und ich habe sie vor mir, um mich. wenn ich sinne und schreibe, daher Sie denn auch auf meinen Blättern gewiß manches finden, das unmittelbar zu Ihnen gesprochen worden.

Die Campagne gefällt mir selbst jetzt besser bey'm Lesen als im Schreiben; das Unheil geht denn doch so leicht hinter einander weg, es ist verdrießlich, aber lasset nicht. Möge manches, woran ich jetzt arbeite, Ihnen zur guten Stunde in die Hand kommen.

Ich sende nächstens den morphologischen und allgemein wissenschaftlichen Theil in zwey Bänden, wo sich der Inhalt schon etwas consequenter und besser ausnimmt. Ein Exemplar bitte des Herrn Staatsminister v. Altenstein Exzellenz mit meiner geziemenden Empfehlung zu überreichen; er war der Erste, von dem mir etwas Freundliches über die Metamorphose der Pflanzen hinterbracht wurde; er hat auf meine Naturstudien immer geachtet und nun zuletzt, durch Begünstigung der chromatischen, mich höchlich verpflichtet; wobey ich recht gut weiß wie viel ich Ihnen schuldig geworden.

v. Hennings Einleitung ist wirklich sehr lobenswerth und ich spüre gar sehr den Einfluß der drey genannten Freunde. Was Sie mit Recht copios nennen dient vielleicht gerade diesem Unternehmen; das den meisten Menschen Abstrufe mit einer gewissen behaglichen Freyheit vorzutragen wirkt immer vortheilhaft. Ich erwarte ihn mit Freuden; mir macht's [141] Epoche, daß ich nach meiner letzten Expectoration im vierten Stücke einem andern übertrage, mit und in ihm fortleben kann. Wir wollen ihm soviel Stoff und Gehalt zuweisen, daß er sich in der Behandlung zukommen zu nehmen hat. Das Weitere erfahren Sie in einiger Zeit.

Auf meiner zehnwöchentlichen Reise habe manches Gute genossen, erlebt und gelernt; auch ist mir gelungen, durch einen heiter jungen Chemiker die trüben Täfelchen von der schönsten Wirkung fertigen zu lassen; v. Henning soll davon mitbringen. die entoptischen Täfelchen wollten nicht gleichmäßig gut gerathen, doch soll unermüdet auch daran gearbeitet werden.

Das nächste Heft zur Wissenschaft schwebt schon unter der Presse. Luke Howards Selbstbiographie eröffnet solches. Wie sehen dieallerliebste Erscheinung: ein Quäker, Laborant, Naturmensch und Christ! Bey aller Wahrheit und Aufrichtigkeit ist der kleine Aufsatz doch sehr klug und gut geschrieben. Sodann folgt Ihr Phosphor, der gewiß leuchten wird vor und aus den Leuten; es sind mir dabey schon manche Phänomene viel deutlicher aufgegangen als wohl sonst. Ihren Namen spreche nicht aus, weil Sie es verlangen; indessen wird doch wieder ein schöner Gebäudetheil an die vorhandenen Wartesteine gefügt und in's Ganze geschlossen werden. Wegen der Ableitung des Grünen im 38. § hätte ich etwas zu erinnern, wie Beylage zeigt.

[142] Auf das Schriftlein geologisch-geographischen Inhalts bin ich sehr verlangend.

Ihr Antheil an den Radirungen nach meinen Skizzen ist mir höchlich lieb und werth; indessen weiß ich nicht, ob die jungen Leute ihre Rechnung dabey finden; sie sind im Radiren nicht gewandt und haben dadurch dem Original eher genommen als gegeben. Sollte das Unternehmen in's Stocken gerathen, so versuch ich es vielleicht auf litographischen Wege. Eigentlich muß es ein Landschaftszeichner unternehmen, dessen Hand geübt und dessen Geschmack geprüft ist; alsdann wird er diese unschuldigen Motive die ihm gereicht sind eher heben als niederdrücken.

Auf die restaurirte Dame voriger Zeit freue mich sehr; was Sie gethan haben und thun, unterschreibe durchaus, berauben Sie sich des Anblicks nicht zu bald! Bey'm Absenden bitte ich um die Vorsicht, die Fugen des Deckels und Bodens mit dem Kasten, wie auch sonst Riß oder Fuge, mit Leinwand durch Tischerleim verkleben zu lassen. Doch was sage ich! werden Sie nicht besser für Ihren Liebling sorgen als ich andeuten kann?

In die Fülle Ihrer Kunstschätze und die Regsamkeit aller Thätigkeiten schaue mit Vergnügen von weiten; leider ist mir die Annäherung versagt und ich kann zufrieden seyn, in meinem stillen Gartenzimmer einen Winter thätig auf meine Weise zuzubringen.

[143] Da wäre denn aber die Vorbereitung wünschenswerth, daß Sie uns besuchten und in einer ruhigen Haushaltung, bloß durch das Lustgeschrey liebenswürdiger Kinder manchmal aufgeregt, eine Zeitlang verleben wollten. Das was man sich mitzutheilen hat ist denn doch am Ende gränzenlos, welches man nicht eher gewahr wird, als wenn man nach geraumer Zeit erst wieder einmal anfängt, Herz und Sinn gegenseitig aufzuschließen.

Um Sie, wenn's nöthig wäre, noch anzuregen und zu bestimmen, daß Sie uns ja besuchten, schreibe ich so eilig, weil ich sonst vielleicht Hennings Ankunft abgewartet hätte. Sollte Rauch wirklich kommen, so lassen Sie ihn nicht allein erscheinen, uns thut es gewiß allen höchlich wohl; die Kinder bitten dringend.

Die meiste Zeit in fremden lande hab ich der Geologie gewidmet und mich von Stift Tepl bis an den Fuß des Fichtelbergs durchgeklopft.

In Prag legen sie ein Museum an, wodurch viele Menschen aufgeregt, auch Fremde gefördert und zur Theilnahme gestimmt werden; ich konnte ihnen selbst schöne Beyträge geben. Nach Prag aber bin ich ohngeachtet Ihrer Anmahnung doch nicht gegangen, ich fürchte, mich durch so viele Rücksichten genirt zu sehen.

Der größte Gewinn aber, den ich in diesen Tagen zog, war die persönliche Bekanntschaft des Herrn Grafen Kaspar Sternberg, eben des Hauptförderers[144] jener Anstalt, mit dem ich schon früher in brieflicher Bekanntschaft stand. Von Jugend auf dem geistlichen Stande gewidmet, gelangte er endlich zur Stelle eines Domherrn von Regensburg; dort gewann er neben Welt- und Staatsgeschäften die Natur, besonders das Pflanzenreich lieb und that viel dafür. Als er nun bey Umkehrung Deutschlands auch von seiner Stelle vertrieben ward, ging er nach dem Mutterlande Böhmen zurück und lebt nun in Prag, theils auf seinen von einem älteren Bruder ererbten Gütern. Hier kommt ihm denn die Natur wieder freundlich zu Hülfe. Er besitzt wichtige Steinkohlenwerke, in deren Bruch die seltsamsten Pflanzen erhalten sind, welche, indem sie nur der südlichsten Vegetation analoge Gebilde zeigen, auf die entferntesten Epochen der Erde hinweisen. Er hat schon zwey Hefte derselben herausgegeben. Dieß alles ist gewiß in Berlin, vielleicht haben Sie es schon gesehen.

Mit Grafen Kaspar Sternberg nun hab ich vierzehn tage in Marienbad zugebracht, alsdann sah ich ihn in Eger mit Berzelius, dem Schweden, und Pohl, dem brasilianischen Reisenden; der erste spielte uns die auffallendsten mikrochemischen versuche mit bewundernswürdiger Geschicklichkeit, ganz eigentlich aus der Tasche vor; Pohl ist ein sehr verständiger, unterrichteter, thätiger Mann. der auf seinen Reisen mehr als billig ausgestanden hat. Inzwischen wird uns jener immense Welttheil doch immer klärer; dazu hat [145] auch v. Eschwege beygetragen, der sich einige Wochen bey uns aufhielt.

Auch der problematische, neptunisch-vulkanistische Kammerbühl bey Eger ward collegialiter besuchr und der Gedanke, einen Stollen durchzuführen nach Maaßgabe des früheren Vorschlags (Zur Naturwissenschaft B. 1. S. 76 und 233), nochmals gebilligt, auch einige Vorarbeiten beschlossen.

Da ich nun, wie Sie sehen, diese letzte Zeit fast ganz der Erdbetrachtung gewidmet, so können Sie denken, wie mich das Büchlein interessirt, in welchem Sie, wenn ich recht verstehe, mit sich controver tiren und zugleich in völligen Einklang setzen. Wie vieles hätt ich noch zu erzählen, welches mündlich schnell überliefert seyn sollte. Erfreuen Sie uns bald durch Ihre Gegenwart, ich bin den ganzen September gewiß zu Hause, Ihre Zimmer sind bereit. An Herrn Rauch vielen Empfehl und Einladung; wo nicht zu Dach und Fach, doch zu herzlichem Gespräch und Mahl. Wenn Sie v. Henning noch hier treffen, so gibt es einmal wieder eine Berliner Societät.

Auch von Schubarth wünscht ich das Nähere zu hören; schon seit geräumer Zeit fang ich an für ihn zu fürchten, er gehört unter die Menschen, dergleichen mir in meinem Leben viel zu schaffen gemacht, man kann sie nicht fördern, ihnen nicht helfen; sie kämpfen sich freylich durch, aber mit Verlust der schönsten Lebenszeit.

[146] Möge der ländliche Aufenthalt Ihnen erquicklich seyn.

treulichst

Weimar den 5. September 1822.

G.


[Beilage.]


Schluß des § 38.
[jeweilige] Bemerkung.

Durchleuchtetes Trübes – Gelb
Durchleutetes Wenig-Trübes – Gelb
Durchleutetes Trübes – Violett
Durchleutetes Wenig-Trübes – Violett
– – –
Durchleutetes und zugleich Durchschattetes
Wenig oder Mehr-Trübes – Grün
Durchleuchtetes Trüberes – Orange
Durchleutetes Trüberes – Orange
Durchschattetes Trüberes – Blau
Durchschattetes Trüberes – Blau
Durchleutetes Trübstes – Roth
Durchleuchtetes – Trübes Roth
Durchschattetes Trübstes – Grün
Weder zu Durchleutendes noch zu Durchschattendes Völlig Trübes – Weiß

Weimar den 5. September 1822.

G. [147]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1822. An Christoph Ludwig Friedrich Schultz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7ACD-C