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An Christoph Martin Wieland

Ich überwinde einige Bedenklichkeit, um dich, lieber alter Freund, auf einen Fall aufmerksam zu machen, woraus vielleicht für uns beyde einiges unangenehme entstehen könnte.

Daß, bey der Erscheinung des Jon, der Parteygeist des Herrn Überall seine Flügel regen dürfte, war vorauszusehen. Schon bey der ersten Vorstellung rannte dieser Tigeraffe im Parterre herum, durch pedantische Anmerkungen den Genuß einer Darstellung, wie sie Weimar noch nicht gehabt hat, zu stören. Da ihm dieß nicht gelang, so schob er eine Anzeige davon in das Modejournal ein, welche für die Direction äußerst beleidigend war und welche auszumerzen Bertuch noch zeitig von Rudolstadt zurückkehrte.

Jener Mißwollende überläßt sich, wie es scheint, um desto getroster seiner Wuth, als er gewisse stoffartige [4] Urtheile vor sich hat, die du, dem das problematische Argumentum fabulae gar wohl bekannt ist, leicht wirst zu beurtheilen wissen.

Da ihm nun der Weg ins Modejournal verrannt ist, und er dießmal die Sache auf die Spitze setzen zu wollen scheint, so wünschte ich nicht, daß er den Merkur zum Gefäß seiner Unreinigkeiten ersehe. Mag er sich doch der auswärtigen Organe nach Belieben bedienen!

Ich habe bisher so manches hingehen lassen; allein da es nun auf Extreme angelegt zu seyn scheint; so bin ich auch bey der Hand, und da wünschte ich denn nicht, daß, indem ich diesem Schuften zu Leibe gehe, mir ein verehrter und geliebter Nahme als Talisman entgegen stünde.

Vergieb mir diese freundschaftliche Anzeige. Ich mußte, um sie zu thun, meine Maulfaulheit überwinden. Vielleicht hätten frühere Winke dir und andern manchen Verdruß ersparen können.

Ich hoffe dich bald hier zu sehen und das Corpus delicti vorzulegen, dessen ich mich weiter nicht annehme, als in so fern ich mir die Mühe gegeben habe seine Aufführung ins Werk zu setzen. Wie ich denn auch, bey einer Anstalt, die ich im Auftrag von meinem Fürsten, mit so vieler Aufopferung verwalte, wenigstens eine schickliche Behandlung von meinen Mitbürgern erwarten darf.

Ein nochmaliges Lebewohl mit dem Wunsch, daß[5] du bald dich entschließen mögest, aus der warmen Umgebung der Musen dich in das erzkalte Weimar zu versetzen.

Weimar am 13. Jan. 1802.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1802. An Christoph Martin Wieland. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7B1E-0