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An Ottilie von Goethe

Wenn ich, meine liebe Tochter, unsern Zustand aufrichtig vermelden soll, so geht es im Hause und in der Residenz eben so verwirrt zu als wenn du da wärst; Tableaus und Maskeraden, Pikniks und Bälle lassen die Menschen im Kleinen nicht zu sich kommen, so wie ich denke daß dir's im Großen geht. Nun kannst du dir aber was zu Gute thun wenn du vernimmst, daß in allen diesen Fastnachtsnöthen du immer als Hülfsheilige angerufen wirst; da es mir etwas wunderlich vorkam, daß du auf einmal in den Geruch des Paradieses kommen solltest, so hab ich mich nach deinen Verdiensten genau erkundigt; sie bestehen, wenn es dir noch nicht genau bekannt seyn sollte, daß du jedermann deine Kleider, Bänder und Blumen borgst und zuletzt mit der schlechtesten Maske vorlieb nimmst. Da nun dieser von jeher der Weg war canonisirt zu werden, so würde ich dir zu solcher geistlichen Standeserhöhung Glück wünschen, wenn du nicht jetzt in Berlin für alles weimarische Entbehren deinen Erdenlohn dahinnähmest.

Vor allen Dingen sollst du alsdann gelobt werden, daß du so fleißig dein Tagebuch fortsetzest und uns, durch gute Benutzung deiner Zeit, wegen deiner Abwesenheit einigermaßen entschädigst. August wird dagegen, wenn auch laconischer, sich zu revangiren suchen.

[23] Durch den schnellen Abdruck der Anzeige meines neuen Heftes möge den besorgenden Freunden der schönste Dank werden; nächstens hoff ich dagegen ein Exemplar zu übersenden.

Nun aber wirst du wunderbar finden, daß der Verfasser des Paria mich gestern besucht und mir eine Abschrift seines Stücks überreicht hat; ich las es gleich und es hat mir sehr wohl gefallen. Auf dem Theater muß es sich recht gut ausnehmen; auch hier könnte man es sehr schicklich besetzen. Du schreibst mir wenn du es gesehen hast.

Besonders aber wünsch ich etwas mehreres vonHerrmann und Dorothea zu erfahren; mein Berliner Theaterfreund hat sich noch nicht darüber herausgelassen ob er gleich sonst fortfährt sein Amt höchst lobenswürdig zu verwalten. Wenn du ihm begegnen solltest sag ihm ja etwas freundliches darüber.

Nun aber, wirst du, meine Gute, einen recht verbindlichen Dank ausrichten, für eine reichliche Sendung der wundervollsten Spargel. Ich genieße sie mit besonderm Appetit und die Zeit wird nicht gar zu lang bis zu Augusts Frühlingsernte, deren Fülle mir manchmal vorgerechnet wird. Sey den Gebern deshalb sehr freundlich, die du leicht erkennen wirst.

Bey dieser Gelegenheit ist billig zu sagen, daß Ulrike ihr culinarisches Regiment mit Sorgfalt und Anstand zu führen weiß. Karpfen in polnischer Sauce geräth besser als bisher. Kannst du aber ein [24] ganz echtes Recept von dorther senden, so werden die Bemühungen vielleicht noch bessern Fortgang haben.

Nach einer neuen diätetischen Einrichtung bleib ich die Abende allein, kann etwas vor mich bringen und bin weniger aufgeregt, als durch gesellige Unterhaltung. Mittags aber speist immer ein Freund mit uns das ist sehr erheiternd. Schon hat uns die Frau Großmama die Ehre erzeigt und sich wie es schien ganz wohl bey uns gefallen.

Die Kinder haben durch ihre Gunst die Thiere gesehen; Walther erzählt gern vom Elephanten und Krokodil, Wolf aber will sie nicht gelten lassen; das Pferd bleibt unter allen solchen Geschöpfen das Einzige dem er einige Neigung schenkt.

Gedenke meiner im Besten vor deinem theuren Wirthe und den lieben Seinigen; grüße sämmtliche Freunde, versichere sie meines Wohlbefindens, das hoff ich dauern soll wenn ich mit Mäßigung zu leben fortfahre. August meldet das Weitere.

treulichst

Weimar den 18. Januar 1824.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1824. An Ottilie von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7B3D-A